Siebold, Carl Theodor Ernst von

Carl Theodor Ernst von Siebold an Ernst Haeckel, München, 15. Februar 1877

München den 15ten

Februar 1877

Mein theuerster Freund!

Deinen Geburtstag kann ich ja nicht vergessen, seitdem ich weiß, daß er mit dem meinigen zusammenfällt, freilich mit dem großen Unterschied, daß Du den deinigen Ehrentag noch recht oft, ich wünsche es Dir jedenfalls aufrichtig, feiern wirst, wohingegen die wenigen Jahre, die ich noch zu leben habe, mir diesen Festtag nur noch in recht geringer Zahl bringen werden.

Mögen Dir vor allem alle diese noch recht oft wiederkehrenden Festtage auch stets wahre Freudentage bleiben, an welchen Du mit Genugthuung und Befriedigung auf alles zurückblicken kannst, was Du der Wissenschaft, ja, ich getraue es mir auszusprechen, der Menschheit geleistet hast. Die wahre Anerkennung der letzteren, wie sie Dir gebührt, wird freilich noch etwas auf sich warten lassen. Ich wenigstens werde sie leider nicht mehr erleben, da die jetzige Generation der Mensch-||heit noch zu sehr unter dem Drucke der vererbten Irrthümer leidet; hoffentlich wirst Du, wenn Du auch jetzt noch wacker zu kämpfen hast, in den Dir noch bevorstehenden Jahren die Freude der Anerkennung erleben. Freilich schenkst Du Deinen Widersachern nichts, Du vertheidigst Dich mit denselben Waffen, mit denen sie Dich angreifen, was ich Dir nicht verargen kann. Mit welchem Widerwillen las ich neulich: Semper’s offenen Brief gegen Dich. Bist Du noch nicht so weit abgehärtet, um solche Pamphlete zu ignoriren?

Da lobe ich mir jenes humoristische Laienbrevier des Haeckelismus. Ich denke mir, Du wirst Dich über diese Gesänge, deren Auffassung ganz an Busch’s amüsante und illustrirte Büchlein erinnern, gewiß auch sehr amüsirt haben; sie sind auf keinen Fall grob und beleidigend für Dich gehalten, ja ich möchte fast sagen, unsere Studenten könnten Deine ganzen Anschauungen aus diesem Brevier vergnüglich repetiren, ehe sie bei dem Professor der Zoologie sich zum Examen melden. Du hast gewiß etwas näheres über den Verfasser dieses Schriftchens || erfahren. Der genannte Verfasser ist doch wohl nur ein fingirter Name.

Was mich besonders ärgert, (zum Schluß dieses Briefes möchte ich mich noch darüber aussprechen), ist der Zorn, den Deine Gegner darüber auslassen, daß der fatale Göthe von Dir so gerne benutzt wird. Man bemerkt ihren Aerger um so mehr, weil die verschiedenen Citate der prächtigen a Sentenzenb Goethe’s so treffend passen und wirklich schlagend auf den einwirken, der sie versteht. Die Gegner möchten lieberc sie nicht verstehen. Es thut mir nur Goethe leid, den sie gerne verkleinern möchten, was ihnen freilich nie gelingen wird. Ich bedaure diese Leute ordentlich, die es nicht über sich gewinnen können, über solche tiefsinnige Aussprüche des ehrwürdigen Gothe Freude und Bewunderung empfinden.

Nochmals meine Glückwünsche wiederholend und Deine liebe Frau freundlichst grüßend verbleibe ich in Aufrichtigkeit

Dein Dich hochschätzender

alter Freund

Carl v. Siebold.

Auch meine Frau und Enkelin senden Dir ihre Glückwünsche.

a gestr.: Citate; b korr. aus: Sentzenzen; c eingef.: lieber

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
15.02.1877
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 15326
ID
15326