Siebold, Carl Theodor Ernst von

Carl Theodor Ernst von Siebold an Ernst Haeckel, München, 2. Dezember 1873

München den 2tn Dezember

1873.

Mein theurer verehrter Freund!

Deine letzte Sendung an mich, mit ihren Einlagen, welche sogleich an ihre Adressen besorgt worden sind, hat mir eine große, ich wohl sagen, eine rührende Freude und Ueberraschung gebracht, und muß ich Dir dafür meinen innigsten Dank sagen. Obgleich Du mich schon auf den Inhalt Deines Infusorien-Aufsatzes vorbereitet hattest, so habe ich doch nicht geglaubt, daß Du mir eine solche wohlthuende Ehrenrettung gespendet haben könntest. Ich kann Dir wohl gestehen, daß ich mich, so oft die Monatsberichte von mir in die Hand genommen wurden und ich Ehrenberg’s malitiöse Behandlung des Autors des Syngamus wieder las, a immer wieder von neuem verletzt und gekränkt fühlte, um so mehr als sich kein Zoologe meiner annehmen wollte; die etwa dazu Berufenen wichen der Sache aus und machten Versuche, die Organisation der Infusorien anders zu deuten, indem sie Ehrenberg’s aber auch zugleich meine Ansichten widerlegten. Ich verhielt mich ruhig in der stillen Hoffnung, es würde doch einmal das richtige wieder b an das Tageslicht gezogen werden. Du hast meine Hoffnung erfüllt und zwar in einer Weise, wie ich es nimmer erwarten konnte; habe nochmals herzlichen Dank dafür. Diese Ehrenrettung, wie Du sie mir gebracht, entschädigt mich für vieles, was ich im Laufe der Zeit, seit ich 1845 mein Heft der vergleichenden Anatomie dem Druck übergeben hatte, erduldete.c War doch seitdem Ehrenberg mein unpersöhnlicher Feind ge-||worden, der jederzeit, wo sich Gelegenheit bot, seinen Einfluß in Berlin gegen mich geltend gemacht hatte. Man ließ mich ohne die geringsten Versuche, mich in Breslau zu halten, nach München abziehen, was ich freilich nie zu bereuen gehabt habe. Als Lichtenstein gestorben war, hatte mich die Fakultät primo loco vorgeschlagen; ich mußte Peters weichen, was vielleicht für mich ganz gut war, da ja der Berliner Boden für ein Gemüth, das wie das meinige gerne in Ruhe und ohne Aufregung arbeitet, etwas aufreibendes hat.

Was wird aber Dein Freund Gegenbaur zu Deinen Anschauungen der Infusorien sagen? In seiner zweiten Auflage (1870) pag. 88 hat Gegenbaur, entgegen seiner Anschauung in der ersten Auflage (1859) pag. 43, die Einzelligkeit der Infusorien als unbegründet wieder fallen lassen. Und doch wie überzeugend konntest Du die Nichtexistenz von Geschlechtswerkzeugen mit differenzirten Eierstöcken und Hoden klar machen und die d Protozoen als vollkommenste einzellige Thierkörper hinstellen. Wie plausibel und jedem Vorurtheilsfreien auf den ersten Blick überzeugend hast Du es wieder vermocht, eine Stammtafel (in Deinem Aufsatz pag. 46) aufzurichten, in der Due die natürliche Stellung mit ihrem Abschluß für die Protozoen erkannt hast; ich denke, bei Betrachtung dieser Stammtafel wird Gegenbaur wieder auf Deine Seite treten müssen.

Mit herzlichsten Grüßen

Dein aufrichtig ergebener

C. v. Siebold.

Für die Bemühungen, die ich Dir gemacht und die Du bei Bestellung eines Mikroskops bei Zeiss gehabt, meinen freundlichsten Dank. Derselbe hat mich auf das beste befriedigt.

a gestr.: ich; b gestr.: einmal; c eingef.: erduldete.; d gestr.: Protist; e gestr.: man, eingef.: Du

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
22.12.1873
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 15298
ID
15298