Richard Semon an Ernst Haeckel, Prinz-Ludwigshöhe, 15. Juni 1902
Prinz-Ludwigshöhe
15. Juni 1902
Hochgeehrter Herr Professor.
Seien Sie vielmals bedankt für Ihre freundlichen Zeilen vom 12. Juni, die die hochwillkommene Nachricht brachten, dass die financiellen Schwierigkeiten betreffend a Vollendung der Herausgabe meines Reisewerkes nun mehr glücklich gehoben sind. Diese Nachricht hat mich sehr glücklich gemacht. Seien Sie vielmals bedankt für alle Mühe und Arbeit, die Sie ausser anderem auch der financiellen Seite des Unternehmens gewidmet || haben. Der 5. (systematische) Band der Zoologischen Forschungs Reisen wird in allernächster Zeit fertig. Bitte erinnern Sie dann noch einmal Ihre Assistenten daran, diejenigen Mitarbeiter, die das Material noch nicht an das Zoologische Institut zu Jena zurückgeliefert haben, zu moniren. Mancher der Herren Systematiker dürfte sonst an Gedächtnissschwäche [!] leiden. Auch die drei letzten noch unvollendeten Bände (I, III, IV) werden wohl sicher im Laufe der beiden nächsten Jahre zum Abschluss gelangen, am spätesten wahrscheinlich Band I, für den ein grosser Beitrag von Fürbringer zu erwarten ist. Was die Planktonproben || anlangt, so stelle ich die Verfügung über dieselben Ihnen völlig anheim. Sollte ihre Bearbeitung vielleicht durch einen Schüler von Ihnen vielleicht gelegentlich einmal der Mühe wert erscheinen, so könnte die Publication doch nicht in den Zoologischen Forschungs Reisen erfolgen, da der 5. systematische Band wie gesagt bereits abgeschlossen ist. Dass Sie zu solchen Specialarbeiten keine Lust mehr empfinden, ist einfach selbstverständlich. Aber nicht aus den anderen von Ihnen angegebenen Gründen, sondern lediglich deshalb, weil Sie die Fülle Ihres Wissens und Könnens, Ihrer seit 50 Jahren angesammelten Erfahrung und Be-||herrschung der Biologie im weitesten Sinne für andere Aufgaben aufsparen müssen, als für Detailarbeiten, für die ihre Arbeitskraft gradezu zu schade ist.
Vorgestern schickte mir G. Reimers in Ihrem Auftrage die neue (10.) Auflage der natürlichen Schöpfungsgeschichte. Innigen Dank für das alte Buch, durch das ich noch auf dem Gymnasium Ihr Schüler wurde, in neuem Gewande. Dass es seine Macht auf die Geister der strebenden Menschen noch nicht verloren hat, beweist nicht nur die grosse Zahl der Auflagen, sondern auch des Umstands, dass Sie neuerdings wieder in rascherem Tempo auf einander || folgen müssen: 8. Auflage 1889, 9. Aufl. 1897, 10. Aufl. 1902.
Werden Sie in diesen grossen Ferien München einen Besuch abstatten? Wir verreisen am 10. August, zuerst nach Bayreuth, wo wir mit meinem Bruder und meiner Schwägerin zusammentreffen und einige Zeit verweilen, dann gehen wir an die Nordsee (wahrscheinlich Sylt), wo wir bis Ende September zu bleiben gedenken. Hoffentlich versäumen wir dadurch nicht Ihren Besuch in München. Mit vielen herzlichen Grüssen || von meiner Frau und von mit
stets ihr treuer und dankbar ergebener Schüler
Richard Semon.
P.S: Sollte einer meiner Briefe an Sie nicht in Ihre Hände gelangt sein, so kann er jedenfalls nichts wichtiges enthalten haben. Auf alle wesentlichen Mitteilungen meinerseits an Sie habe ich stets von Ihnen Antwort erhalten.
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