Richard Semon an Ernst Haeckel, Prinz-Ludwigshöhe, 7. November 1901
Prinz-Ludwigshöhe, 7/XI 1901
Hochgeehrter Herr Professor.
Vor 3 Tagen erhielten wir von Ihrem Verleger in Ihrem Auftrage „Aus Insulinde“ zugeschickt und haben Ihre uns schon so gut bekannten reizenden Reisebriefe aus Malaya mit erneuter Freude und erneutem Genuss wieder vorgenommen. Durch die Buchform und die Beifügung der vielen schönen Abbildungen hat das Ganze noch sehr bedeutend gewonnen, und können Sie sich wohl denken mit welcher Freude ich die alten lieben Pfade in Singapur, Buitenzorg, Tjibodas, Djokja, Penang wieder mit Ihnen gewandelt bin. Die Bilder finde ich eigentlich alle vorzüglich. Ihre Aquarelle haben natürlich durch den Verlust der Farbe || beträchtliche Einbusse erlitten. Aber da doch die meisten Ihrer Leser die Originale nicht kennen, bieten ihnen die recht gut reproducirten schwarz-aweissen Wiedergaben immerhin ein erträgliches Surrogat besonders da wo die geschickte Hand von b sich in den Reproductionen bemerkbar macht. Ihre Frau Schwiegertochter hat es wirklich vorzüglich verstanden, der Eigenart der c farblosen Reproduction Rechnung zu tragen. – Vielen Dank für das Geschenk des schönen Werkes und für die freundliche, ehrende Art, mit welcher Sie so oft in demselben meiner Erwähnung tun.
Von uns kann ich nur gutes berichten. Mein Arm ist eigentlich ganz wieder in Ordnung. Das Gelenk ist völlig frei. Die zunächst zurückgebliebene Muskelschwäche bessert sich von Tag zu Tage. – Wir || zehren noch von Ihrem lieben Besuch und den reizenden Stunden, die Sie uns durch Ihre Erzählungen und durch Einblick in Ihre Aquarelleschätze gewährt haben. Hoffentlich haben wir schon wieder im nächsten Frühjahr die Freude Sie in München – Prinz-Ludwigshöhe zu sehen. Hat es Ihnen in Sonthofen gefallen? Wie war Herr v. Ritter? Ich bin grade bei der Lektüre von de Vries’s Mutationstheorie, die mich in hohem Maasse interessirt. Haben Sie das Buch schon gelesen? Meine Frau will noch unterschreiben. Deshalb schliesse ich und bin mit vielen Grüssen
stets Ihr treu und dankbar ergebener
Richard Semon.||
[Nachschrift von Marie Semon:]
Sehr verehrter Herr Professor,
Das war ja eine entzückende Gabe, die mir da vom blauen Herbsthimmel herabfiel, gerade als mein Mann einige Tage im Zeichen Nimrods abwesend war. Ich fiel gleich über das schöne Buch her und suchte mir mein Lieblingsbild, den Wasserfall van Tjiburrum heraus, der auch in der Reproduction wieder ganz grossartig ausgefallen ist. Sehr reizend ist der Vordergrund des, Ihr Häuschen im Garten von Beutenzorg vorstellenden Bildes ausgefallen, wie denn einige Sachen durch die Reproduction geradezu noch gewonnen haben, z. B. Zannonia macrocarpa, der beinahe wie ein Baum-Heros || auf den Beschauer wirkt. Sie – oder Ihre liebe Schwiegertochter – haben da einige Lichter aufgesetzt die ganz ungemein wirksam sind – kurz ich wüsste wirklich kaum, was ich noch hervorheben sollte, so anschaulich und im höchsten Grade gelungen finde ich die Bilder. Sehr interessant sind auch die Bevölkerungs-Typen, und über das fidele Ehepaar (Seite 176) habe ich herzlich gelacht, so ansteckend wirkt seine Vergnügtheit!
Nun, mein theurer und verehrter Herr Professor eile ich aber zum Schluss, in dem auch ich Ihnen noch für meine Person herzlich danke für den || nur durch Ihr schönes Werk vermittelten Mit-Genuss Ihrer Reise.
Darf ich Sie bitten, Ihrer Frau Gemahlin, sowie Fräulein Emma meine besten Empfehlungen zu sagen, mit denen ich verbleibe,
Ihre stets aufrichtig ergebene
Maria Semon.
Bitte auch unseren werthen Meister Giltsch bei Gelegenheit herzliche Grüsse bestellen zu wollen.
a gestr.: wei; b gestr.: X; c gestr.: far