Strasburger, Eduard

Eduard Strasburger an Ernst Haeckel, Warschau, 24. Oktober 1868

Warschau d. 24/68.

Hochgeehrter Freund!

Sie können sich leicht vorstellen mit welcher Ungeduld ich Nachrichten aus Jena erwarte; der entscheidende Augenblick tritt immer näher und dementsprechend steigt auch meine Unruhe im Quadrat. Ich möchte wissen wie meine Angelegenheiten in Jena stehen, und ob sich die Verhältnisse seit meinem letzten Aufenthalte dort, geändert haben. Wie Ihnen wahrscheinlich schon bekannt sein wird, habe ich noch im letzten Augenblicke vor meiner Abreise den Curator gesprochen, er war äusserst freundlich und zuvorkommend, ohne mir jedoch irgend ein Versprechen zu machen. „Es würde ja hauptsächlich von der Facultät abhängen“ meinte er, „er hätte ja darin nur äusserst wenig zu sagen“, und ähnliches. Ich fuhr immerhin aus Jena in der besten Hoffnung, ich hätte || Sie gern noch einmal sprechen mögen, fürchtete aber ungelegen zu kommen, und reiste fort, ohne einmal zu wissen, ob Ihnen ein Erbprinz oder eine Erbprinzessin beschert worden war. – Gleich nach meiner Ankunft in Warschau habe ich Ihr Buch gelesen, also wie Sie sehen, sehr oft an Sie gedacht. Die Stammbäume haben mir besonders wieder a recht viel Freude gemacht. Seitdem habe ich auch den zweiten Band von Darwins neuem Werke gelesen; was sagen Sie zub seiner Hypothese der Pangenesis. Das Ding kommt einem ganz sonderbar vor, so lange man sich nur an die Darwin’sche Darstellungsweise hält, es liegt ihm aber, wie allen Darwinschen Arbeiten ein bedeutender Gedanke zu Grunde. Die Sache würde sich ganz anders gemacht haben, wenn Darwin mehr mit der Histologie vertraut gewesen wäre, namentlich aber auch das Wesen des Protoplasma kannte. || Seitdem ich Plasmodien und dergleichen beobachtet habe, kommt mir das Ei, mit allen seinen Eigenschaften, gar nicht mehr so wunderbar vor. Wirc müssen nur in der Biologie einen ähnlichen Schritt wie die Physiker thun, und uns gewöhnen, die Eigenschaften die wir den Zellen en bloc windicirten, auf die Molecule des Zellstoffs (Protoplasmas) zu übertragen: die Grösse ist ja nur eine Relation und darf hier gewissen keinen Anstoss geben, während alles andre auf eine complicirted Molecularstructur organischer Gebilde hinweist.

Auf Seite 503 Bd II seines neuen Werkes, stellt Darwin eine Hypothese auf, ume die Bewegungen der Spermatozoiden „die mit Hülfe ihrer Wimpern, nach der weiblichen Pflanze hinschwimmen und sich eine äusserst kleine Oeffnung erzwingen“ – zu erklären, eine Hypothese, die nach meinen letzten Arbeiten über diesen Gegenstand ganz überflüssig wird. Es würde Darwin vielleicht lieb sein, wenn ich ihm || meine Arbeit zusenden möchte; ich möchte ihm gleichzeitig einen Brief schreiben und ihn auf die in Frage stehenden Punkte besonders aufmerksam machen, zunächst wünschte ich jedoch von Ihnen zu erfahren, in welcher Sprache ich an Darwin schreiben soll; Spricht nicht Darwin vielleicht französisch? Dies wäre mir viel lieber, als wenn ich english schreiben solltef, da ichg meinen Brief erst übersetzen lassen müsste. Schicken Sie mir also, bitte, Darwins Adresse, und schreiben Sie auch einige Worte, an Ihren Ihnen von Herzen ergebenen

E. Strasburger.

Königstrasse No 413b

a gestr.: ,; b korr. aus: von; c korr. aus Hir; d eingef. mit Einfügungszeichen: complicirte; e korr. aus: und; f korr. aus: schreiben; g eingef. mit Einfügungszeichen: ich

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
24.10.1868
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 12710
ID
12710