Engelmann, Theodor Wilhelm

Wilhelm Engelmann an Ernst Haeckel, Leipzig, 4. Januar 1890

Leipzig 4.1.90

An E. H. Häckel in Jena

– Aber ich meine doch, dass der Versuch gemacht werden müsste die Planktonforschung auch praktisch in bessere Bahnen zu lenken. Und wer wäre dafür der bessere Mann als Du!? Du willst einen Plan zur Allgemeinen Bearbeitung des Meereslebens ausarbeiten an dessen Ausführung sich alle seefahrenden Culturvölker betheiligen könnten und müssten, ähnlich wie es zum Zweck der Meteorologischen Erforschung der Erde geschieht. Mir scheint, es liesse sich ohne viel Kosten u. Mühen bereits ein gewaltiger Schritt thun, wenn man durch jedes Schiff der Reichsmarine mehrmals an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten, unter bestimmten Umständen (Temperatur, Wind, Bewölkung, Sonnenschein u. s. w.) während der Fahrt Planktonproben (zunächst von der Meeresoberfläche nehmen und in geeigneter Weise conservirt den wissenschaftlichen Untersuchungsanstalten überliefern liesse. Der Schiffsarzt, der ohnehin in der Regel sehr wenig zu thun hat, könnte mit der Aufgabe des Sammelns und Conservirens beauftragt werden. Indem so eine grosse Masse von Einzelbeobachtungen an den verschiedensten || Stellen der Meeresoberflächea in kurzer Zeit gesammelt würden, würde man die erforderliche Basis für allgemeinere Schlüsse über die Vertheilung des organischen Lebens an den Meeresoberflächen gewinnen. Hieraus würden sich weitere Fragen ergeben, deren Beantwortung neue [Xxx] für die Schiffe erfordern würde.

Ich meine, so gut jeder Kapitän während jeder Fahrt täglich wiederholt genaue meteorologische Beobachtungen anstellen kann, kann wohl jeder Schiffsarzt ein- oder einigemal wöchentlich eine Planktonprobe nehmen. Es müsste eben, um wirklich brauchbare, vergleichbare Resultate zu bekommen, eine genaue Instruktion ausgearbeitet werden, die Methode des Sammelns und Conservirens, die zu benutzenden Geräthschaften u. s. w. genau vorgeschrieben u. angewiesen werden. Dergleichen alle die Punkte (Ortsbestimmung, Zeitbestimmung, meteorolog. Zustände u. s. w.), deren Kenntniss zur Beurtheilung des Fanges von Gewicht sein könnten. Es müßten also gedruckte, uniforme Tabellen hergestellt und den Schiffen mitgegeben werden, die dann jedesmal einzufüllen u. am Ende der Fahrt mit abzuliefern wären. –

Sehr wünschenwerth scheint es die Proben || so zu bekommen, dass auch die chemische Zusammensetzung (wenigstens Wassergehalt, Gehalt an organischer Substanz, auch N! Gehalt) in jedem Falle nachträglich bestimmt werden kann. Denn wie Du mit Recht betonst, hat vom ökonomischen Standpunkte nur die Bestimmung des Gewichts der lebendigen Substanz einen Sinn, das Zählen von „Individuen“ gar keinen.

Von höchster Bedeutung würde es auch sein, ein Verfahren zu finden, den Gehalt an Chromophyll, d. i. den zur Kohlenstoffassimilation fähigen Farbstoff, wenigstens vergleichsweiseb zu bestimmen. Denn es ist doch kein Zweifel, dass die letzten Quellen alles Lebens im Ocean* * natürlich soweit es nicht durch die Flüsse zugeführt wird.c (also auch die „Urnahrung“ im strengsten Sinne) das Sonnenlicht ist, indem es, durch Vermittlung des Chromophylls, CO2 u. H2O zerlegt u. organische Substanz daraus aufbauen hilft. Speciell auf die Vertheilung des Chromophylls, im Allgemeinen, wie der verschiedenfarbigen (grünen, blauen, braunen, gelben, rothen u. s. w.) im Besondren, in ihrer Abhängigkeit von den Beleuchtungsverhältnissen, (geogr. Breiten, Jahreszeit, Tageszeit, Bewöl-||kung, Durchsichtigkeit u. s. w. des Wassers würde zu achten sein.

Die Vielseitigkeit u. Schwierigkeit der Hauptfragen würde wie ich glaube erfordern, dass der Plan f. die im Obigen angedeuteten d Beobachtungen und die Instruktionen f. die mit der Ausführung zu beauftragenden Schiffsbeamten von einer Commission von Fachgelehrten ausgearbeitet werden müssten, in der ausser einem Zoologen u. Botaniker auch ein Chemiker u. Physiker vielleicht auch ein Meteorolog Sitzung zu bekommen hätten.

Wenn man, was ich wohl glaube, Herrn Mayr, dem Direktor der deutschen Sternwarte in Hamburg; für den Plan gewinnen könnte, dürfte ein Versuch zur Ausführung wohl gelingen: dass es sich lohnen würde, kann kein Zweifel sein.

Denke doch einmal über die Sache nach! Es wäre schön, wenn der Plan zunächst für Deutschland zur Reife gebracht würde, z. B. auf der folgenden Naturforscher-Versammlung (am besten auch in einer Allgemeinen Sitzung zur Sprache und Discussion gebracht würde. Danach könnte man ein internationales Unternehmen || draus machen, wozu sich – wenn nicht früher – auf dem nächsten internationalen Medicinercongress (in Rom 1892e), der ja eine sehr aktive biologische Sektion hat, gute Gelegenheit bieten wird. Für Holland würde ich mich mit Weber, Hubrecht u. a. schon bemühen. Als Guter Deutscher möchte ich aber, dass von Deutschland die Initiative ausginge u. speciell von Dir, der Du in dieser Sache Bahnbrecher u. anerkannte Autorität bist. –

Leipzig 4.1.91.

ThWE

a korr. aus: Meeresfläche; b korr. aus: vegleichsweise;c nachträglich mit Einfügungszeichen eingef., Text am unteren Rand von Seite 3: natürlich soweit es nicht durch die Flüsse zugeführt wird.; d gestr: Natur; e korr. aus: 1890

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
04.01.1890
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Staatsbibliothek zu Berlin - Preuß. Kulturbesitz,
Signatur
Slg. Darmstaedter, Lc 1875: Haeckel, Ernst
ID
11524