Notthafft, Albrecht Freiherr von

Albrecht Freiherr von Notthafft an Ernst Haeckel, München, 17. Juni 1919

Professor v. Notthafft

München 17. 6. 19

Schönfeldstr. 6

Sehr verehrter Herr Geheimrath!

Deutschland liegt am Boden. In Jahrhunderten wird es sich nicht aufrichten. Ein verlorenes Land, ein verlorenes Volk.

Sieger ist die Loge. Diese hat den Bund gegen uns zu Stande gebracht. Diese hat zuerst den Körper des deutschen Volkes durchwühlt u. sein Rückgrat gebrochen. Sein Rückgrat war der Gottesglaube, keine kindliche Frömmigkeit, sein Glaube an eine Belohnung des Guten u. eine Bestrafung des Bösen. Daher hat die Loge mit Hülfe || der Presse und der Vereine mit „aufklärender“ Thätigkeit zuerst in jahrelangem Bemühen dem deutschen Volke diese Güter zertrümmert.

Die deutschen Logen haben mitgethan. Größtentheils als blinde Hödure.

Auch deutsche Wissenschaftler haben mitgethan. Graut ihnen nicht, Herr Professor, jetzt vor dem, was sie mit ihrem Monismus und ihren vielen wissenschaftlich, ach, so werthlosen, aber in jedes Badejünglings Händena befindlichen populären Schriften u. Schriftchen gethan haben?

Sie haben sicher das Beste gewollt, soweit sie es verstanden haben. Nur verstanden haben Sie es leider nicht. ||

Sie haben der Sozialdemokratie und den Spartakisten die gefährlichste Waffe in die Hand gegeben, als Sie mit Ihrer durch den Professorentitel gestützten Autorität verkündeten: es gibt keinen Gott. Das wissen Sie natürlich so wenig wie andre das Gegentheil. Denn Überirdisches kann man nicht mittels Naturwissenschaft befehden oder beweisen. Aber Sie haben behauptet, daß Sie es können. Naturwissenschaft, überhaupt wissenschaftlich ist so etwas nicht. Aber die Herrn vom Arbeiterfreidenkerverein, vom Proletarierbund Darwin, die „Naturfreunde“ und Kosmosnachbeter verlangen so etwas gar nicht.

Sie reden weiter. Riesengroße Plakate verkünden, daß die vereinigten „Freidenker“-Vereine jetzt b zusammen Versammlungen halten. Herr Geheimrath! Das ist Verbrechen! Wie man sich persönlich zum Gottesglauben stellen mag, niemand, der ihn noch hat, soll man ihn aus dem Herzen reissen. Früher nicht, jetzt erst recht nicht. Alles ward uns genommen. Unser Vaterland, unsere Fürsten, unsere gute alte Verfassung, unser Vermögen, unsere Lieben, unser Glück, unsere c Zukunft. Jetzt wollen Volksgenossen anderen Volksgenossen das Letzte rauben, was diese bisher noch hatten: den Trost der Religion. Herr Geheimrath! Gebrauchen Sie Ihre Autorität und warnen diese Buben! Sonst versündigen Sie sich mit.

Hochachtungsvoll

Notthafft

a eingef. Händen; b gestr.: zet; c gestr.: Zuck

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
17.06.1919
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10980
ID
10980