Stahlberger, Karl

Karl Stahlberger an Ernst Haeckel, Pola, 16. März 1900

Pola am 16. März 1900.

Euer Hochwohlgeboren!

Hochgeehrtester Herr und Meister!

Mögen Sie es einem Ihnen persönlich unbekannten Mitmenschen gütigst verzeihen, wenn er es wagt sich Ihnen mit einer großen Bitte, die ihm am Herzen liegt, zu nähern.

Seit vielen Jahren hat der ehrerbietigst Unterfertigte ein ganz besonderes, von einem inneren Drange beseeltes Interesse an allen jenen Studien bekundet, welche sich mit der Erforschung und Erkundung jener Fragen beschäftigen, die wir die „große Wahrheit“ nennen.

In der Lectüre der zahlreichen Schriften, die die moderne Geistesrichtung und besonders die Entwickelungsgeschichte zum Gegenstande haben (Ihre kleineren auch dem Laien verständlichen Werke, L. Büchner, B. Vetter, Moleschott, Vogt, Zehnder, Carus Sterne, Rob. Meyer (Astronom), Kolb, Renan etc) habe ich stets mein größtes und reinstes Vergnügen gefunden. ||

Den Gipfelpunkt der inneren Befriedigung gewährte mir jedoch – schon wegen der Bedeutung des illustren Autors – Ihr letztes prächtiges Buch „Die Welträthsel“, welches mich in wahre Begeisterung versetzte und mir unvergeßlich bleiben wird.

Ist es da nicht begreiflich, wenn ich das dringende Bedürfnis fühle, auch das Antlitz des Mannes, der so schön und zum Herzen gesprochen hat, wenigstens im Bilde zu sehen und kennen zu lernen?

So habe ich mich denn bemüht, mir ihr werthes Bildniß, welches hoffentlich wohlgetroffen ist, zu verschaffen und nun wage ich es, auch Ihnen, hochverehrtester Herr Professor, mit der Ihnen wohl sonderbar, aber gewiß begreiflich erscheinenden Bitte ehrfurchtsvoll zu nähern, Sie mögen die große Güte haben dieser Freude und Begeisterung dadurch eine besondere Weihe zu verleihen, daß Sie freundlichst dasselbe auf der Frontseite mit Ihrer eigenhändigen Unterschrift schmücken.

Das so geschmückte Bild soll fortan mir und meinen Freunden bzw. Nachkommen stets vorschweben zur Erinnerung an den berühmten Mann und Forscher, der in so hohem Maße beigetragen hat die Wahrheit || zu erleuchten und ihr die neue Lehre des Schönen, Guten und Wahren zu verkünden.

Sollten Sie, hochverehrtester Herr Professor und Meister die große Güte haben der Unterschrift auch noch einige Worte beizufügen, so würde meine Dankbarkeit keine Grenzen mehr kennen.

Die Herzensgüte und die Menschenfreundlichkeit, die aus jedem Worte Ihrer schönen und überzeugenden Sprache spricht, läßt mich hoffen, daß sie dem ergebensten Bittsteller die Erfüllung des Wunsches nicht versagen werden; und mögen Sie schließlich in dem Bewußtsein, einem Mitmenschen und einem von den glänzenden Resultaten Ihrer Forschung so begeisterten Manne eine große Freude bereitet zu haben, eine Entschuldigung für sein Wagnis erblicken, welches eben durch diese Begeisterung für Ihre theure Person und Ihre beglückende Lehre hervorgerufen worden ist.

Mit nicht geringer Betrübnis habe ich kürzlich einige „Kritiker“ Ihres schönen Werkes gelesen (Besonders ist gemeint jene in der Beilage zur Münchener Allgem. Zeitung vom 10. Od. 11. d. M.)a, welche deutlich zeigen, wie groß noch die Schwierigkeiten sein werden, um die Wahrheit von der geistigen Befangenheit in bewußter Richtung zu befreien. Das Lager der Occultisten und Geheimwissenschaftler mit || ihren bornirten Hypothesen und der frechen Art der Bekämpfung ihrer Gegner, dürfte noch lange Zeit manche Gebildete veranlassen in der Finsternis weiter zu wandeln; und sie bedürfen der Finsternis um zu glänzen!

Auch diese betrübenden Umstände müssen den Werth Ihres herrlichen Lebenswerkes nur erhöhen und Ihren seinerzeitigen Triumph nur um so glorreicher gestalten.

In der freudigen Hoffnung auf eine gültige Erfüllung der Bitte habe ich die Ehre meinen besten Dank schon im Voraus zum Ausdrucke zu bringen und mich mit der

größten Verehrung und Hochachtung

zu zeichnen als Ihr ergebenster

Diener und überzeugungsgetreuer

Anhänger

Karl Stahlberger jr.

K. u. K. Linienschiffslieutenant 1. Cl.

Pola

beim K. u. K. Hafen-Admiralate

Österreich

a mit Einfügungszeichen eingef.: Besonders ist ... 10. Od. 11. d. M.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
16.03.1900
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10965
ID
10965