M. Sinclair an Ernst Haeckel, Berlin, 10. Januar 1900
Sehr geehrter Herr Professor,
wenn eine einfache Frau sich die Freiheit nimmt Sie, Herr Professor, zu belästigen so, bitte, entschuldigen Sie es gütigst. –
Ihr Werk „Das Welträthsel“ giebt mir die Veranlassung dazu.
Die Auseinandersetzungen der Entwickelungslehre greift zurück auf millionen von verflossenen Jahren. Wir bewundern dabei den Geist der befähigt ist das alles zu durchforschen. Wie das Verborgenste hervor gezogen wird, und das Unbedeutendste nicht unbedeutent bleibt. ||
Dabei muß es denn aber als merkwürdig auffallen, daß eine Naturkraft, die sich heute überall offen zeigt, nur insofern Erwähnung findet, als sie mit „Aberglauben“ bezeichnet ist.
Ich meine den Spiritismus.
Die Wissenschaft hat hier eine Aufgabe zu erfüllen, der sie sich, billiger Weise, nicht entziehen dürfte! Oder soll das denen, die wieder millionen Jahre nach uns leben werden, vorbehalten bleiben, hierin Klarheit zu schaffen?
Das hier eine Kraft waltet die nach eigenem Willen handelt davon kann sich jeder überzeugen der den guten Willen dazu hat. || Und wenn hervorragende Gelehrte, nachdem sie geprüft hatten, die Thatsachen zugegeben haben, so kann wohl nicht angenommen werden daß sie alle von simpelen Taschenspielern gefoppt worden sind. Überhaupt fallen für den, der diese Kunst an sich selbst erfährt, die gesuchten Erklärungen fort; und davon giebt es sehr viele.
Ich glaube der Gelehrte Wallace ist es, der den Ausspruch gethan hat: „Ich wollte den Spiritismus um jeden Preis aus der Welt schaffen; aber der Preis der Wahrheit ist mir doch zu hoch dafür.“
Wenn wir annehmen daß die Entwickelung heute ihren || Abschluß noch nicht gefunden hat, so muß sie fortschreiten; kann der Fortschritt nun nicht in der Richtung liegen die jetzt so aufdringlich hervortritt? ‒ ‒ ‒
Die Würmer, Fische und Affen haben auch nicht gewußt daß in ihnen der Keim zu einem selbstbewußten Wesen liegt; ebensowenig wissen wir, welche Keime in uns liegen, die der Entwickelung harren.
Nochmals um Entschuldigung bittend, mein Wissen, in einem Punkt Ihrer Ansicht entgegen gestellt zu haben, unterzeichnet mit außerordentlicher | Hochachtung
M. Sinclair
Berlin,
d. 10. 1. 1900.