Buz, Julius M...

Julius M. Buz an Ernst Haeckel, Radebeul, 12. Januar 1901

Radebeul bei Dresden, am 12. Januar 1901

Hochgeehrter sehr verehrter Herr!

Sie würden es gewiss verzeihen und sogar sehr begreiflich finden das ich es wage Sie zu belästigen, wenn sie wüssten was sie mir sind und mit welch unbegrenzter Bewunderung ich an Ihnen und an ihren unvergleichlichen Werken hänge.

Ich habe ihr letztes Werk, die „Welträthsel“ nicht einmal sondern schon dreimal gelesen und vertiefe mich immer wieder mit fast ehrfürchtig im Schauer in die Resultate ihrer wunderbar scharfsinnigen Forschungen.

Ich bin ein einfacher Kaufmann und wenn ich auch Naturwissenschaften als Lieblingsstudium betreibe und mit steigendem Interesse Darwin, Moleschott, Büchner, Feuerbach u. s. w. gelesen habe, zu bin ich doch nur Autodidakt und weitentfernt, Sie etwa mit wissenschaftlichen Abhandlungen behelligen zu wollen. Aber gerade weil ich keine Fachstudien gemacht habe, sondern nur als Mensch mit gesundem Verstand mich in die Materie ihrer Forschungen eingelebt habe, ist der Eindruck um so überwältigender und Sie können keinen feurigeren Apostel haben als den „unstudirten“ Kaufmann.

Nun finde ich in der hier beiliegenden Nummer 17 des „Berliner Tageblattes“ vom 10. d. M. einen sonst ganz interessanten Artikel mit der Ueberschrift „Was liest unser Volk?“ aus dem ich die erfreuliche Thatsache ersehe, dass in Leihbibliotheken von unseren Arbeitern die Werke unserer Geistesheroen Darwin und Häckel gelesen werden!!!! das ist eine Beobachtung die sehr tief blicken lässt und mir ein Beweis ist, dass mit fortschreitender Kultur selbst der ungeschulte „unstudierte“ Mensch sich vom Aberglauben der Religion ab-und der exacten Forschung zuwendet!

Wenn man als aufgeklärter Mensch mit bitterer Wehmut und Entrüstung zusehen muss, wie sich ein so fortgeschrittenes Volk wie die Deutschen a noch vom Centrum regieren lassen, so thun Beobachtungen wie die soeben erwähnten vom Aufklärung und Wahrheit suchenden Arbeiter doppelt wohl.

Der Autor des Artikels im Berliner Tageblatt, der bekannte schöngeistelnde Feuilletonschreiber Mauthner schließt seinen Artikel mit einer so krassen ‒ Blasphemie gegen die Wissenschaft, dass ich keine Worte finde, die hinreichen würden, die Entrüstung auszudrücken die Jeden erfassen muss, der das Wesen der einzigen Heiligkeit dieser Welt, der Materie erkannt oder auch nur geahnt hat.

Nun frage ich, wie ist es möglich, dass ein Mensch der doch offenbar eine gute Schulbildung genossen hat, der unbedingt viel gelesen haben muss, von einem Spinnen des „groben Fadens der Materie“ sprechen kann? Ist es fassbar, dass ein denkender Mensch die Materie nicht begreifen kann, wenn er Haeckel und Büchner gelesen hat? Ist es möglich sich von den Phantomen der sogenannten Philosophie gefangen oder gefangen halten zu lassen wenn man so viel Geistesschärfe hat, dass man Schlüsse ziehen oder doch beurtheilen kann, wenn sie einem von Gelehrten so mundgerecht gemacht werden wie von unseren scharf und logisch denkenden, unbegreiflicherweise so || heftig angegriffenen Verfechtern der Materie? und wie ist es möglich, dass man als gebildeter Mann religiös, d.h. dogmatisch religiös sein kann?

Ist es möglich, dass gebildete Leute mit Studien, sagen wir Centrumsleute wie Windthorst wirklich kirchlich fromm sind?

Giebt es natürliche Veranlagung zum begreifen des Materialismus? Sie, gerade Sie, hochverehrter Meister haben mir meinen religiösen Gott genommen und mir die Heiligkeit der Materie beigebracht, obwohl mir das durchaus nicht schwer fiel, im Gegentheil, es war mir oft, als hätte ich das schon längst in mir empfunden und Sie haben mir nur erst das geahnte Räthsel gelöst und mir die Augen geöffnet.

Ach man ist so einsam in seiner Erkenntniss und findet so wenig Gleichdenkende, dass man oft geneigt ist, sich die Frage vorzulegen, „bist Du auch auf dem richtigen Wege?“ aber ein einziges Kapitel aus Ihren Werken, oft ein einziger schlagender Beweis, ein Schluss eine unwiderlegbare Thatsache aus der Natur befestigt mich wieder in der Lehre von den eisernen unveränderlichen Gesetzen der Natur und der Materie.

Ihnen, Sie hoher Geist, mag mein Bangen und Zagen als das Lallen eines Kindes vorkommen, das zu den Füßen des Meisters sitzt, nehmen Sie es nicht ungnädig auf.

Eine Hoffnung habe ich: man spottet heute über die Zeiten der spanischen Inquisition, vielleicht spottet man von hier in einigen Jahrhunderten auch über unsere jetzige Zeit mit ihrerb immer noch die Menschheit entwürdigenden Knechtung c der Vernunft durch das Dogma und die sogenannte Religion.

Jedenfalls finden Sie es weit unter ihrer Würde, auf den Artikel Mauthner etwas zu erwidern, aber es gebürte ihm eine derbe Zurechtweisung für die unverantwortliche Ueberhebung mit der er sich erlaubt, zwei Worten etwas abthun zu wollen, woran hervorragende Geister eine Lebenszeit gearbeitet haben.

Und jetzt bitte ich nochmals um Verzeihung dass ich Ihre kostbare Zeit in Anspruch genommen habe, ich wollte meiner Entrüstung Ausdruck geben über das Geschreibsel eines amassenden Feuilletonisten, zugleich aber auch Ihnen, hochverehrter Herr meine unbegrenzte Bewunderung und Ehrfurcht zollen, mit derd ich bin

Ihr

sehr ergebener

Julius M. Buz

a gestr.: sich; b korr. aus.: ihren; c gestr.: des Dogmas; d eingef.: der

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.01.1901
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10811
ID
10811