Sigg-Wagner, Hermann

Hermann Sigg-Wagner an Ernst Haeckel, Zürich, 4. Januar 1901

H. Sigg-Wagner

Reinacherstr. 5

Zürich V

Herrn Prof. Ernst Haeckel

Jena.

Hochgeehrter Herr!

Verzeihen Sie mir, wenn ich mir erlaube, einige Zeilen an Sie zu richten: Ihre Zeit ist kostbar & ich will mich bemühen, mich kurz zu fassen.

Es sind kaum 14 Tage her, als ich die Nachricht erhielt von dem plötzlichen Tode meines Schwagers Dr. Carl Grebe, der während der beiden letzten Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter der Firma Carl Zeiss in Jena war. –

Es war im letzten Sommer, im Monat Juli, als ich meinen Schwager (er wohnte mit seiner kleinen Familie am Fuchsturmweg in Wenigenjena) besuchte. Eines Abends sprachen wir von Allem Möglichen: von Gott & den Menschen, von Werden & Vergehen. Ein Wort gab das Andere & da ich meinen Schwager wohl leiden mochte & er nicht ein Mann war der andere abfertigte, wenn sie anderer Meinung waren, kam ich so || weit, ihm ein offenes, unumwundenes Glaubensbekenntnis abzulegen. Er unterbrach mich nicht, sondern hörte mir stillschweigend zu. Ich sprach ihm von meinem Glauben, von meinen religiösen Bedürfnissen, aber auch von meinen Zweifeln & von der Unklarheit von der ich mich nie ganz (d.h. bis zu meiner Zufriedenheit) befreien konnte. Und er hörte mir geduldig zu & rauchte seine Cigarre. – Ich hatte geendet mit meinem Vortrage als er auf einen Augenblick das Zimmer verliess um mit einem braunen Buche wieder zu kommen. – „Erlaube mir, dass ich Dir aus diesem Buche einige Seiten vorlese“, sprach er. Und nun war es an mir ihm zuzuhören & meine Cigarre zu rauchen. – Was las er mir denn vor?

Das rotbraune Buch kennen Sie, verehrter Herr! Es waren Ernst Haeckels „Welträthsel“ & das Kapittel das er las, war das 19te, „Unsere monistische Sittenlehre“. –

Tags drauf nahm ich das Buch zur Hand & als ich wenige Tage später wieder in Zürich war, war das Erste das ich that: Ich holte mir die Welträthsel. ||

Seither war ich einer der Ihrigen. Leider liegt der, der mich dazu gebracht, im Grabe & ich kann ihm für den Liebesdienst, den er mir erwiesen, nicht mehr danken. –

So weiss ich mir denn nicht anders zu helfen, als Ihnen, verehrter Herr, diese wenigen, schlichten Zeilen zu schreiben & auf diese Weise meinem verstorbenen Schwager & Freunde Dr. Carl Grebe ein Denkmal zu errichten wie ich mir ein schöneres nicht denken kann. –

Ich bitte Sie nicht, diesen meinen Brief zu ähnlichen zu legen, die Sie schon von Ihnen ebenfalls unbekannten Leuten empfangen haben werden. Machen Sie damit was Ihnen beliebt. Aber eines möchte ich Sie bitten; den Dank eines schlichten Schweizerbürgers anzunehmen, dem Ihre Welträthsel sehr gut gethan haben. –

Mit Hochachtung Ihr

Hermann Sigg.

Reinacherstrasse 5

Zürich V, 4. Januar 1901.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
04.01.1901
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10807
ID
10807