Bohnenblusch, Ph...

Ph. Bohnenblusch an Ernst Haeckel, Homburg (Pfalz), 14. Januar 1901

Die Vereinigung der Christen

ein Stück Weltgeschichte.

Auf welche Art können die religiösen Gegensätze welche noch aus dem finstern Mittelalter stammen u. nichtmehr zeitgemäß sind beseitigt u. bessere Menschen gebildet werden? Ganz einfach dadurch daß wir statt der Lehre der Geistlichkeit, die Lehre Jesu einführen, wie folgendes beweisen wird:

Als im Evangelium ein Jünger Jesus fragte was er zu thun habe um selig zu werden, hat er nicht zu ihm gesagt: Du mußt Dich taufen lassen, zum Abendmahl gehen, Beten, Fasten und dgl. wie unsere Geistlichkeit lehrt, er hat auch nicht gesagt, daß er vom heiligen Geist empfangen u. von einer Jungfrau mit Namen Maria geboren wurde, was wir || auf Weihnachten in so erhebender Weise feiern u. besingen, er hat auch nicht gesagt daß er am Kreuz für die Sünden der Menschen, selbst für Diebe u. Mörder sterben werde, was unsere Geistlichkeit das ganze Lebenlang in der Schule, am Altar, am Sterbebett u. noch am Gerichtsplatz lehrt, sondern er sagte zu ihm: Daran soll euch die Welt erkennen, daß ihr meine wahren Jünger seit, so ihr Liebe untereinander habt. – Da wir aber als Katholiken u. Protestanten erzogen werden welche einander hassen, sind wir seine Jünger nicht. Und als die Jünger zu Jesus sagten: Herr, lehre uns beten, da lehrte er sie das bekannte Vaterunser u. lehrte damit nur zu Gott alleine beten. Auch von der Verehrung in Anbetung seiner Mutter will Jesus nichts wissen, denn als ihm ein Weib in ihrer Begeisterung über seine Lehre || zurief: Selig ist die Brust die du gesogen hast, da rief Jesus: Selig sind die meines Herzens sind. – Demnach verlangt er keine Katholiken Protestanten u. dgl. welche einander hassen sondern nur liebe edeldenkende Menschen. – Und damit haben auch all die hohen Festtage welche Christus u. seiner Mutter geweiht sind ein Ende; denn er will ja von alledem nichts wissen, sondern verlangt nur wie gesagt, liebe edeldenkende Menschen. Daß aber unsre Geistlichkeit all ihren Religion, Konfessionen u. mit ihrem gegenseitigen Gezänk keine solche Menschen erzieht beweisen gerade die große Menge roher ungebildeter Menschen in Stadt u. Land, sowie die Betrüger, Diebe, Mörder, die Menschen u. Tierquälerei u. Die schrecklichen Kriege, selbst kein Fürst, Beamter u. Polizei ist sein Leben vor Mörderhand sicher. So sagte auch schon Staatssekretär || Nieberding am 10. März vorigen Jahres am Bundesratstisch in Berlin, die Statistik beweise, daß wir an einer Periode des sittlichen Niedergangs begriffen sind – ein Beweis daß unser Christentum keine Bildungsanstalt ist, was es doch sein soll. Deßhalb sollen auch Zwangserziehung, Prügelstrafe u. dgl. eingeführt werden; doch dies alles wird so wenig helfen als Zuchthaus u. Galgen; da kann nur die vorhin genannte Lehre Jesu helfen. Und damit stehen wir an einem weltgeschichtlichen Zeitabschnitt. Denn wer noch länger glaubt Taufe, Abendmahl, Beten, Fasten u. dgl. Kirchengebräuchen seien Gnadenmittel zu unsrer Seligkeit, Christus sei am Kreuz für die Sünden der Menschen, selbst für Diebe u. Mörder gestorben, denn sein Blut wasche alles wieder rein u. Seine Mutter bitte für die armen Seelen, wer also auf dem Weg || in den Himmel kommen will u. läßt sich noch länger als Katholiken u. Protestanten gegeneinander aufhetzen, dem steht es noch frei; alle Anhänger Jesu aber mögen seine Lehre einführen, wodurch die Jugend im Glauben an Gott vereinigt, durch Schul u. Lehranstalten zur Gerechtigkeit, Wahrheit und Nächstenliebe erzogen wird. – Ist das kein schönes Christentum? Und nur durch solch christliche Erziehung können die religiösen Gegensätze, welche wie gesagt noch aus dem finstern Mittelalter stammen u. nichtmehr zeitgemäß sind beseitigt u. bessere Menschen erzogen werden. Das ist auch der beste Arbeiterbildungsverein, nicht nur die Erwachsenen allein, sondern auch die Jugend von Kindheit an durch Eltern u. Lehrer zu gewissenhaften liebreichen Menschen erziehen. Und wenn gewissenhafte u. liebreiche Männer und Frauen miteinander die Jugend erziehen || wird auch eine solche heranwachsen, denn alle Menschen, welche eine gute Erziehung haben, welche sittlich moralisch gebildet werden, sind keine Betrüger, Diebe, Mörder, Menschen und Tierquäler, sie brauchen keine Richter u. Polizei, sie sind auch keine Krieger welche um ihre Reiche zu vergrößern tausende von Menschen schlachten, Städte u. Länder zerstören u. namenloses Unglück unter die Völker bringen. Und alle Geistliche, Beamte u. Laien, welche sich dieser Lehre anschließen haben dann mit Katholiken Protestanten. u. wie sie alle heisen nichts mehr zu thun, sie bilden Gemeinden für sich gleich allen übrigen Konfessionen, sie sind Christen. Das mögen dann schöne Versammlungen werden, Versammlungen in denen Menschen zusammen kommen, welche über dem kleinlich religiösen Gezänk stehen u. gleich ihrer Kunst u. Wissenschaft || nur das Schöne u. Edle des Menschengeistes pflegen u. ihre Jugend in demselben Geiste erziehen.

Mögten deßhalb alle Freunde der Wahrheit u. Aufklärung diese Schrift zu verbreiten suchen, denn die Jugend als würdige Menschen, als Christen erziehen wird überall nur Freuden begrüßt werden. Mögten aber besonders unsre staatliche Verwaltungen die ja alles Schöne u. Gute so gerne pflegen, diese Lehre in die Schule einführen; dann wird es kommen wie bei unseren Eltern, welche lutherisch u. reformirt erzogen wurden u. jeder Partei wollte auch die beste sein, aber im Jahr 1818 wurden sie gereinigt, erhielten andre Lehren, Gebeth u. Gesangsbücher u. heute wissen wir nicht mehr was die Lutheraner u. Reformirte war und wollen es auch nicht mehr sein. Und so wird auch die Lehre Jesu die katholische u. protestatntische Gehässigkeit, wieder || verschwinden, nichts bleibt mehr als Gott allein, zu dem uns Jesus beten lehrt. Unsere Natur.

Ph. Bohnenblusch

Homburg (Pfalz)

Geehrter Herr Professor!

Ich möchte Sie höflichst bitten mir Ihr freundlich Urtheil über diese Schrift senden zu wollen.

Achtungsvoll

zeichnet

der Obige

14. 1. 1901.

 

Letter metadata

Gattung
Empfänger
Datierung
14.01.1901
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10806
ID
10806