Herman Scheffauer an Ernst Haeckel, London, 17. April 1913
Bank Point
Jackson’s Lane,
Highgate N.
London, April, 17th, 1913
Hochgeehrter Meister!
Es war durchaus lieb und aufmerksam von Ihnen mir diese neue kleine populärea Abschnitte Ihrer Werke („Natur und Mensch” in der berühmten „Universal Bibliothek”) zu schicken – so- wie auch das sehr interessanteb „Monistische Jahrhundert”.
Wieder habe ich zwei Schätze aufzubewahren! – und meinen Kinder (wenn’s einmal da sind!) weiterzugeben. Die Schrift von Wilhelm Ostwald über Ihr Leben und Ihre Arbeit ist eine prächtige und ermunterte mir das Herz als ich sie lasc. Wie viele starke und hervoragende Jünger umgeben Sie jetzt – Ostwald, Boelsche, Breitenbach, May, McCabe, Carus – und noch viele andern. Ich glaube aber dass wenigstens in England und Amerika ich noch so ziemlich allein unter den Dichtern stehe. John Davidson einer der groessten Dichter Englands der vor eine Paar Jahre starb, war ein fester Anhänger von Ihnen – wenn ich mich richtig ausdrücke. In England sind ja die Schulen ja noch so ziemlich mittelälterisch. Doch auch hier bricht das Licht durch.
Es ist mir schon öfters der Gedanken gekommen dass auch in England und Amerika ein Monisten-bund gegrundet d werden soll – McCabe sollte den Anstoss dazu geben, oder die Rationalist Press Association. Ich wollte Alles das mir nur moglich ist tun die Sache zu befördern. Ich weiss das viele Leut, die einzeln nicht dazu die Kourage haben ihre Meinungen beizustehen sich so einem Bunde anschliessen wurden. Nun, es muss ja kommen – wenn es siche auch etwas lang f hinausdehnt.
Selbst der hervoragenste Englander traut sich nicht die Wahrheitg tüchtig || anzugreifen. Zum Beispiel da war ich neulich bei einem Diner des hiessigen Authors‘ Club wo der Professor Schaefer von Edinburgh der Ehrengast des Abends war. Er sollte über das Thema „Mind and Matter“ sprechen. Die Spannung war gross, alle Anwesende waren in das Thema tief interessiert. Und was gab uns der Professor? Er behandelte die ganze Sache als ein Spass, sprach gar nicht uber ‚Mind und Matter“, sondern las uns nur eine Menge dumme Briefe vor die ihm von verschiedenen Fanatikern geschickt wurden.
Ich habe die Londoner Verleger sehr unvorkommend gefunden mit Bezug eines Buches uber den „Monismus.“ Ich legte es verschiedenen Firmen vor, aber wie gewöhnlich, haben diese Leute kein Verständniss fuer so etwas – bis die ganze Welt es ihnen in die Ohren schreit. Ich schrieb neulich einer Firma die die „People’s Books“ herausgiebt, wegen eine kleiner Brochure über Sie und Ihre Lehren – von einem philosophischen Standpunkte aus – vielleicht kommt es nochh zu was. Wenigstens, geehrter Meister, sollen diese Bücher geschrieben werden – wenn sie auch nicht von einem Verleger bestellet werden.
Ich hatte neulich ausserordentliches Glück mit einem Theater-Stuck von mir. Es ist ins Deutsche übersetzt worden und in Berlin angenommen. Das Stück heisst mit dem Titel „Der Neue Shylock“, und spielt sich im Judenviertel Neu Yorks ab. Verschiedene Arbeiten von mir werden auch jetzt ins Deutsche und Französische übersetzt.
Ich habe selbst letzter Zeit eine Übersetzung Frau Rosa Mayreder’s „Zur Kritik der Weiblichkeit gemacht – erzeigt gegenwartig viel Interesse. Jetzt schlägt man mir vor ich sollte Houston Stewart Chamberlain’s grosses Buch uber Goethe übertragen – eine kolossale Arbeit! Goethe zu liebi mochte ich es schon tun – aber ich habe ja meine eigene Arbeiten. Ein neuen Artikel über Sie habe ich fertig – muss aber noch abkopiert werden. Meine Frau und Ich schicken Ihnen || lieber Herr Professor, unsere allerbesten Wünsche und allerherzlichsten Grüsse.
Ich möchte Ihnen öfters schreiben aber da denke ich immer es könnte Ihnen lästig sein. Ein Brief von Ihnen wenn es auch nur ein Paar Zeilen sind macht mir immer eine sehr grosse Freude. Ich will Ihnen eine Kopie meiner Übersetzung Heine’s Atta Troll bald schicken – soll in ein Monat oder sechs Wochen erscheinen. Hoffentlich geht es gut mit Ihrer Gesundheit? Sie sind ja nur 79 Jahren Jung! Gegen den alten Alfred Russell Wallace sind Sie ja der reinste Jüngling, lieber Meister! Wenn ein Dualist beinahe 100 Jahre alt wird so kann ein Monist leicht 120 werden.
Zum Schluss, entschuldigen Sie, bitte, dass ich mit der Maschine schreibe – es ist nur Ihres wegen – denn meine Schrift Ihnen aufzubinden wäre das reinste Verbrechen gegen Sie!
Ich verbleibe wie immer, werter Meister,
Ihr getreuerj und ergebener,
Herman Scheffauer
a korr. aus: poular; b korr. aus: interessanted; c korr. aus: lass; d gestr.: gegrundet; e eingef.: sich; f gestr.: sich; g eingef.: die Wahrheit; h eingef.: noch; i korr. aus: lieben; j irrtüml.: betreuer