Heldburg, Helene Freifrau von

Helene Freifrau von Heldburg an Ernst Haeckel, Meiningen, 6. Januar 1916

Hoch- und von Herzen verehrter Herr und Freund!

Keine groessere Freude haette mir werden koennen, als die vor einer Stunde in meine Haende gelangten guetigen Zeilen Eurer Exzellenz in Begleitung Ihres letzten Werkes sie mir brachten. Meine Gedanken waren am Sylvester theilnehmend und segnend zu Ihnen gewandert, ich hatte mir aber gesagt, || das Aussprechen derselben sei eine Unbescheidenheit angesichts der gewiß nur zu zahlreichen Begruessungen die beiʼm Jahreswechsel auf Sie einstuermen, und so liess ich es meinerseits bei dem Gedenken bewenden. Wie oft, Verehrter, habe ich im vergangenen Jahre Ihrer gedacht! Der vereinsamte Zurueckbleibende hat es schwer! Es ist mir eine || innige Beruhigung zu hoeren, dass ein liebes sympathisches Enkelkind Sie betreut! Ein einsamer Haushalt, wie ich ihn zu fuehren gezwungen bin, ist ein unsagbar Trauriges. Ich beneide jetzt oft Diejenigen, denen ihr Glaube ein Wiedersehen verheisst – kann mir freilich keine Vorstellung von demselben machen, habe auch, offen gestanden, || nie Jemanden gefunden, auf den das Wort Anwendung fand: Ich will Dich troesten wie einen seine Mutter troestet. Dagegen denke ich mir, dass die schaffende Arbeit, wie sie Ihnen, Verehrter, geblieben, wohl allerdings ein Troester sein kann, und sie wird es auch sein, die Schiller in seinen sonst so schoenen || „Idealen“ gemeint hat, die mir immer so trivial erschienene „Beschaeftigung“, die er anruft.

Ich bin, leider, sehr wenig aufnahmefaehig geblieben, hochgeehrter Herr und Freund, – meine Hauptlectuere besteht in den Aufsaetzen der Neuen Freien Presse – aber Ihr neuestes Denken wird mir Viel geben, ich weiss es, und auch dafuer, nicht nur fuer || das Mein-Gedenken – sage ich Ihnen von Herzen Dank! Wenn sonst Ihre uns so wohlbekannten Schriftzüge unsa begruessten, es war immer ein freudiges Ereigniss und so war es mir auch vorhin, als muesste ich mit Ihrer Sendung gleich zu Ihm hin. Das sich nicht mehr mittheilen koennen – es ist so schwer zu tragen? – ||

Gehe es ihnen nach Moeglichkeit gut, lieber Herr und Freund, und seien Sie wieder und wieder bedankt von Ihrer Sie treu verehrenden

Heldburg.

Meiningen | 6.1.16.

Eben faellt mein Blick auf eine Photographie eines Bildes des Kaisers, das mir || ganz aussergewoehnlich gefaellt, so zwar, dass ich das Original dem Prinzen Adalbert zum Geschenk gemacht habe. Ich lege sie Ihnen ein – vielleicht giebt sie auch Ihnen, wie mir, eine neue Vorstellung vom Kaiser?

d. U.

a eingef.: uns

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
06.01.1916
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10387
ID
10387