Sachsen-Meiningen, Georg II., Herzog von

Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen an Ernst Haeckel, Meiningen, 26. Dezember 1900

Meiningen, 2ter Weihnachtsfeiertag | 1900

Lieber Häckel!

Von Ihnen einen Brief aus fernem Lande zu empfangen, hat mich ganz außerordentlich gefreut und spreche ich Ihnen meinen wärmsten Dank dafür aus. Meine Frau und ich haben Ihrer viel gedacht, ohne recht zu wissen, wo wir mit unseren Gedanken Sie suchen sollten. Daß Sie mehrere Wochen zu Hause bleiben mußten und daß Sie, als Sie Ihren Brief an mich schrieben, noch nicht ganz hergestellt waren, ist ja abscheulich und bedauern wir von Herzen. Nehmen Sie sich nur in jenem Tropenklima gut in Acht: Der Knierheumatismus könnte || am Ende mit der dortigen Gluthitze, Feuchtigkeit und üblen Exhalationen des überhumusreichen Bodens zusammenhängen! Bringen Sie uns den Jenenser Professor, auf den in Deutschland nur die Ignoranten und die Diener der Kirche nicht stolz sind, in gutem Stande zurück!

Den „Kampf um die Welträthsel“ habe ich mit Interesse gelesen und danke ich Ihnen bestens dafür, daß Sie ihn mir haben zugehen lassen. Ich vernahm, der Verfasser des Schriftchen, Heinrich Schmidt, sei ein sehr fleißiger Schüler von Ihnen. Irre ich nicht, hat er bis April noch Urlaub, um Naturwissenschaften in Jena zu studiren. Um den Mann istʼs eigentlich schade, || wenn er wieder als Lehrer auf ein Dorf kommt, ihn nutzbringender anzustellen, hindert aber vielleicht der Umstand, daß er in höheren Disciplinen als den seminaristischen kein Examen gemacht hat. Für eine Stelle wie die Ihres Schülers Dr. Hanitsch aus Eisenberg würde nach Beendigung seines Studiums sich H. Schmidt aber wohl eignen, leider sind diese Stelle nicht gerade häufig unbesetzt anzutreffen.

Über die 17 Kisten wird man sich in Jena höchlichst freuen. Um eine solche Anzahl von Kisten in wenig Tagen zu füllen, muß die Ausbeute enorm reichhaltig gewesen sein!

Um den wunderbaren Anblick der Tropennatur könnte ich Sie beneiden. Wer in der Situation ist, sie sehen zu || können und sein Lebtag es unterläßt, eine entsprechende Reise zu machen – wie ich es gethan habe, begeht ein Unrecht gegen sich selbst!

Ob Sie in Java wohl über die Ihnen verhältnismäßig nahen Chinesischen Wirren etwas hören? Augenblicklich erwartet man, es werde die Antwort des Chinesischen Hofʼs auf das Ultimatum der Mächte, in dem präcisirt ist, was sie von China verlangen, morgen in Peking eintreffen. Es wäre ja ein ganz außerordentlich glückliches Ereigniß, würde der Chinesische Hof klein beigeben, ich bezweifle dies aber. Je eher unsere Truppen von dort zurückkehren, je besser istʼs für unsere Gesittung; denn dauert die Geschichte noch lange, kommen die Leute || grenzenlos verroht zurück und stecken dann zu Hause nicht Wenige an. Dieses Niederknallen oder Niederstechen aller gefangenen oder verwundeten Boxer und mancher regulären chinesischen Soldaten muß nach und nach in denen, welche dies thun müssen, alle feineren Empfindungen zerstören. Leider ist diese Barbarei von höchster Stelle geboten worden, ohne zu bedenken, daß sie auf uns höchst nachtheilig zurückwirken wird. Non sono christiani sagt der Italiener bei Mißhandlung seiner Zugthiere. Der Chinese wird faktisch Seiten’s der ihn bekämpfenden großstaatlichen Truppen nicht besser angesehen und behandelt als jene Zugthiere, fast noch schlechter. –

Möchten Sie in dem Sie umgebenden Paradiese noch friedlichste Monate aufʼs || Angenehmste und, vollkommen vona dem Rheumathismus befreit, verleben und seiner Zeit wohlauf zu uns heimkehren. Dies wünscht meine Sie auf’s Herzlichste grüßende Frau mit mir.

Apropos: Ob Borngräberʼs neues Jahrhundert auch anderswo als in Leipzig gegeben worden ist, habe ich nicht gehört, auch nicht, ob das Stück in Leipzig öftere Wiederholungen erlebt hat. Was treibt der ärmste Dichter denn jetzt, nachdem er den geistlichen Talar ausgezogen hat? Von der Poesie allein zu leben, soll selten gelingen.

Wir haben vor, 13ten März wieder nach Cap Martinhotel zu gehen, 15ten April meine Villa Carlotta zu beziehen und dann 3 Wochen, von Mitte Mai schon an, Gastein || zu besuchen, das mir diesen Herbst gut gethan hat. Vielleicht treffen Sie uns auf der Villa Carlotta wenn Sie nicht zu früh im April zurückreisen, was nicht vorsichtig wäre, da sie den Temperaturwechsel übel vermerken könnten. Sie dort zu sehen und zu beherbergenb, würde ganz außerordentlich erfreuen, lieber Haeckel, Ihren

Ihnen herzlichst ergebenen

Georg

Mein Gott, auch den Jahreswechsel hätte ich ganz vergessen und doch fängt in wenigen Tagen das neue Jahrhundert an, dessen Beginn trotz Befehlʼs von Oben vor 1 Jahr nicht stattfand. || Möchten Sie im Zwanzigsten Jahrhundert eine weite, weite Etappe zurücklegen und die von Ihnen gelehrte Wahrheit die civilisirte Menschheit immer mehr u. mehr erfüllen! Dies ist mein Wunsch zum Jahreswechsel.

a korr. aus: vom; b eingef.: und zu beherbergen

H: EHA Jena, egh., 2 Dbl., 21,9 x 14,0 cm, 7 S., Besitzstempel, D: ungedruckt.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
26.12.1900
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10249
ID
10249