Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 5. Juli 1896

Heidelberg, 5 Juli 1896.

Liebster Freund!

Für Deinen liebenswürdigen Brief vom 1. sage ich Dir herzlichen Dank. Die mir ausgesprochene Wohlmeinung hat mein altes Herz erfreut, welches so lange es noch schlagen wird, auch dem Freunde angehört, den bei meinem Geburtstage bei mir zu sehen, mir zur besonderen Freude gereichen wird. Jener Tag muß freilich mehr ernste als heitere Empfindungen erwecken, denn er stellt den letzten Markstein im Leben vor, von wo aus nur Rückblick, keine Ausblicke mehr gestattet sind. Das ist nicht traurig, aber ernst. Es ist nicht traurig sage ich, weil auch der Rückblick erfreuen kann, wenn er den zurückgelegten Weg als einen richtigen erkennen, und nicht als Irrpfad ansehen muß, und weil der natürliche Verlauf der Dinge nicht pessimistisch betrachtet werden soll. ||

Mit solchen Empfindungen gehe ich diesmal dem 21. August entgegen, welchen ich auf keinen Fall hier in Heidelberg, sondern auswärts zu verleben beabsichtige. Um im Kreise meiner Familie sein zu können und zugleich mit Rücksicht auf den außerordentlich schwankenden Gesundheitszustand meiner guten Frau, haben wir Gernsbach (Hôtel Pfeiffer) in Aussicht genommen. Ich werde vorher noch für einige Wochen auf den Heiligenberg gehen, falls ich zu einem frühen Semesterschluß gelange. Wirst Du mir die große Freude machen, zu jenem Tage zu erscheinen, so ist damit nur einem Herzenswunsche entsprochen, aber ich muß Dich zugleich dringend bitten allein zu kommen. So hoch ich es schätze, wenn andere Freunde mir ihre gute Gesinnung bezeugen wollen, und so dankbar ich solchen Absichten gegenüber bin, so wenig darf ich wünschen, daß man mir eine „Feier“ bereite, und || sei sie auch nur durch das Erscheinen mehrerer Personen ausgedrückt. Ich habe mich in diesem Sinne bereits hier, auch meinen jungen Leuten gegenüber, mit aller Entschiedenheit ausgesprochen. Es verbietet sich selbstverständlich in dieser Frage Kategorien aufzustellen. Näheres und Entfernteres, Alt und Jung zu unterscheiden, und damit das Princip zu durchlöchern, nach welchem ich handeln muß. Daß Du keine Ausnahme vorstellst, brauche ich Dir nicht zu sagen. Wir sind so lange verbunden, haben so Vieles durchlebt und gemeinsam empfunden, daß Allen Anderen gegenüber der Gegensatz zweifellos ist.

Endlich, ich muß mich in der angegebenen Art beschränken, und, wie das Alter an sich die Zeit des Verzichtens bedeutet, so wird mir durch dieses Verzicht auferlegt gegen freundliche Erweisungen, wie hoch ich auch immer die Absicht schätze. Die vor 15 Jahren nach meiner Krankheit begonnene Nervosität hat stetig zugenommen, und ich muß alle Erregungen vermeiden, und vor Allem Ruhe suchen. Persönliche Begegnung mit Anderen || an jenem Tage würde mir schädlich sein. Du wirst zu meiner Familie gehören! Ich rechne darauf, daß Du wie sonst, auch für diesen Fall mich richtig verstanden hast, und meinem Verfahren beipflichtest! Nun „last not least“, ich beklage aufrichtigst die Sorge, welche Dir durch das Befinden Deiner lieben Frau und Tochter geworden ist, und wünsche von ganzem Herzen, daß der Friedrichsroder Aufenthalt gut anschlagen möge. Als ich im letzten October jene beiden in Baden begrüßte, konnte ich nicht ahnen, daß ein solcher Umschlag bevorstände! –

Lebe nun wohl, gehe nicht zu tief in die Würmer, diese problematischen Geschöpfe, die einem das Leben verleiden können, und empfange herzliche Grüße von Deinem

alten und treuen

C. Gegenbaur

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
05.07.1896
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10157
ID
10157