Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 14. Mai 1896

Heidelberg, 14 Mai 96

Liebster Freund!

Für Deine vor einigen Wochen empfangene Karte danke ich bestens, und beklage nur, daß Deine liebe Frau Dir durch ihren Zustand Sorge macht. Du sprichst aber doch von langsamer Besserung, und von dieser hoffe und wünsche ich, daß sie inzwischen weitere, erfreuliche Fortschritte gemacht hat. Im vorigen Herbste hätte ich nicht geglaubt, daß die Gesundheit Deiner Frau etwas zu wünschen übrig ließe! Uebrigens habe auch ich über das Befinden meiner Frau recht sehr zu klagen, und während unserer Abwesenheit ist es ihr schlecht ergangen, so daß ich sie überaus nervös antraf.

Die Reise hat mich über die Maaßen befriedigt, und mir rechte Erholung und Erfrischung gebracht, der Aufenthalt in St. Margherita war auch ganz für meine Ansprüche und Bedürfnisse wie geschaffen. || Fast neben der Villa Spinato zieht sich westlich ein großes Grundstück von der Straße zum Meere herab. Darin befindet sich ein Miniatur-Palazzo in welchem eine kleine Pension gehalten wird. Das Ganze ist wilde, italienische Gartenanlage, Alles durcheinander, halb im Verfalle, wie der Palazzetto, aber reizend! Unten alte Steineichen und Strandkiefern, eine Terasse beschattend, darunter die Klippen mit dem brandenden Meere. Es war wirklich eine idyllische Existenz, die ich hier drei Wochen genoß, und manchen Vormittag kam ich nicht aus dem Garten. Du wirst das begreifen können! Auch gute Gesellschaft fehlte nicht, so war Credner mit Familie da, und trug nicht wenig zur Erheiterung bei, so daß der Abendtisch sich manchmal sehr verlängerte. Ueber viele sehr primitive Dinge kam man bei Alledem leicht hinweg, war doch auch die Kost vortrefflich, und Frau Sturm eine liebenswürdige Wirthin.

Hier fand ich es zwar schon grün, aber erst im Beginne des Frühlings, der erst jetzt durchzubrechen scheint. Das Semester ist wenig erfreulich, und ich || habe eine sehr schlechte Frequenz gegen frühere Jahre. Zum Glücke hat mich auch in alten Tagen der Muth nicht verlassen, und ich lebe, wie immer, der Sache.

Vor einiger Zeit ward ich durch den Besuch Deines Bruders erfreut. Ich fand ihn unverändert gegen San Remo, wo ich ihn vor drei Jahren zuletzt sah. Du wirst ihn ja bald selbst sehen, und da bitte ich ihn von mir zu grüßen. Deines Neffen sind wir hier noch nicht ansichtig geworden. Lebe wohl und beste Wünsche.

Herzlich grüßend

Dein alter

Gegenbaur

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
14.05.1896
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10156
ID
10156