Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 8. März 1896

Heidelberg, 8. März | 1896.

Liebster Freund!

Nachdem ich jetzt das Semester glücklich hinter mir habe, sei nicht länger gezögert, Dir wieder ein Lebenszeichen zukommen zu lassen von dem ich wünsche daß es Dich in erfreulichem Befinden trifft. Dein Pedale ist wohl längst wieder in guter Ordnung, und Du machst davon wieder den alten Gebrauch, wenn auch mit weiser Mäßigung. Auch haben sich hoffentlich die Besorgnisse wieder zerstreut, von denen Du wegen Deiner Familie in Deinem letzten || Briefe meldetest.

Ich bin froh, daß dieser Winter, dieser elende Winter, zu Ende geht! Schnee haben wir fast keinen zu sehen bekommen, auch die Kälte war nur einige Tage nennenswerth. Dagegen monatelange Trockenheit mit östlichem Winde und meist bleifarbenem Himmel. Seit einigen Tagen erst empfindet man die feuchten Schwingen des West. Influenza grassirt wie überall, zum Glücke nur in leichten Formen. Ich würde mich auch unter ihre Befallenen rechnen können, wenn ich bei einem neulich erlebten Kehlkopfkatarrh noch a anderes Unwohlsein empfunden, oder Fieber bemerkt hätte. Ich mußte mich aber doch zwei Wochen im Hause halten. || Die lieben Freunde machten eine „Pneumonie“ daraus, und auch aus Briefen erschaue ich die Verbreitung dieser interessanten Nachricht!!! Ich denke daran, zu Ende des Monats wieder an die Riviera zu gehen, und würde das sogar noch früher ausführen b, wenn ich nicht durch meinen Einjährigen abgehalten wäre. Der laborirt schon seit 7 Wochen am Lungenkatarrh ein altes Uebel, welches nach Jahrespause wieder hervortrat. Jetzt soll er wieder in den Dienst, der noch nicht ganz verschwundene wieder exerciren lassen wird! Das will ich meiner Frau nicht allein überlassen. Sie hatte mit ihrer Hypernervosität ohnehin einen schlechten Winter.

Jüngst hatte ich mich in der A.Z. an den Universitätsdebatten in der bayr. || Kammer, amüsirt, kann ich’s nicht nennen, dazu war es zu traurig, aber interessirt. Du kamst natürlich auch vor. Dem guten Zittel werfen sie einen Vortrag über die Herkunft des Menschen vor, in welchem er das Paradies, das doch für die Ehe kirchlich so wichtig sei, völlig ignorirt habe etc. Einen Fortschritt bemerkte ich aber doch. Ein schwarzer Haupthahn ließ den Darwinismus als Hypothese gelten, gleich der Laplace’schen. Für einstweilen mag das genug scheinen. Schade, daß die beste Vertheidigung der Lehrfreiheit und der Universitäten dem Socialdemokraten Vollmar überlassen blieb.

Du wirst diese Dinge nicht beachtet haben, deßhalb schreibe ich sie Dir. Lebe nun wohl und empfange viele herzlichen Wünsche für Dich und die Deinen

von Deinem alten

C. Gegenbaur

a von oben eingefügt: noch; b großer Anfangsbuchstabe zu kleinem korrigiert.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
08.03.1896
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10155
ID
10155