Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, Dezember 1895, [vor Weihnachten]

Heidelberg, Dez. | 1895

Liebster Freund!

Recht sehr hatte mich Deine Mittheilung erfreut über den guten Fortschritt im eigentlichen Wortsinne, den Dir die Kur in Baden gebracht hatte. Ich hatte nicht geglaubt, daß Du so lange in Baden aushalten würdest, zumal das Wetter umschlug, und die Fahrt nach der Iburg eigentlich dem letzten schönen Herbsttage zugefallen war. Inzwischen wirst Du, wenn auch mit aller Schonung, das genesene Pedale wieder in Dienst gestellt haben, und || kannst ihm den Winter über die nöthige Pflege angedeihen lassen.

Unser Zusammensein in Baden, wie kurz es auch gewesen, bietet mir jetzt noch eine liebe Erinnerung, und zeigt mir an, wie wir Beide uns doch im Ganzen wenig verändert haben, was auch über jeden von uns seit den gemeinsamen Jenenser Tagen dahingegangen ist. Das Gefühl dieser Constanz ist mir ein überaus angenehmes, und läßt mich den mühsamen Alterspfad doch mit Munterkeit weiter klimmen; dum licebit!

Ich hoffe, daß der zweite || Band meines Lehrbuches seinen Druck nicht sehr weit ins neue Jahr hinein verzögert, und mich damit freimacht. Wenn ich auch die Besorgung der Correctur an Göppert abgegeben habe, so fühle ich mich doch noch in der Sache stecken, und komme noch nicht zu continuirlicher Beschäftigung mit meinem Lieblingsthema, nach welcher ich eine Art von Sehnsucht habe. Auch das leidige Decanat verschlingt kostbare Stunden!

In der Frequenz der Mediziner hat sich auch hier eine Abnahme geltend gemacht. Die beste Zeit in dieser Beziehung liegt unzweifelhaft hinter uns, und es ist gut für’s Ganze, wenn wieder normale Zustände eintreten. Die im Herbste abgelaufenen Besetzungen anatomischer || Lehrstühle hätten meine ganze Verwunderung erregt, wenn ich nicht längst in dieser Hinsicht nur pessimistisch afficirt wäre. So passt es denn ganz vortrefflich zum Ganzen! Die Völker Europas haben freilich keine Zeit sich um ihre innere Cultur zu kümmern, wenn der große Buddha aus seinem Schlaf erwacht. So lange er diesen auf seinem Wolkensopha noch fortsetzt, bleibt uns immer noch einige Hoffnung dem gelben Verderben zu entrinnen! In dieser Zuversicht genießen wir noch fröhlich das Weihnachtsfest, und dazu, wie zum Beginne des neuen Jahres sende ich beste Wünsche. Mit freundlichem Gruße an Frau Gemahlin wie an Fräulein Tochter

stets Dein altgetreuer

C.G.

a Grüße auch Fürbringer, wenn Du ihn siehst. Ich danke bestens für seine Zusendung.

a Am linken Rand der letzten Seite: Grüße […] Zusendung.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
1895.12.
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10153
ID
10153