Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 28. Mai 1895
Heidelberg, 28. Mai |1895.
Liebster Freund!
Nach längerer Zeit wieder einmal Etwas von Dir zu hören, hat mich sehr gefreut, und ebenso würde ich es mit Freude begrüßen, wenn es mir möglich wäre wieder einmal länger mit dem alten Freunde zusammen zu sein, wozu Dein Vorschlag einen so trefflich geeigneten Anlaß bietet. Vor 8 oder 10 Jahren hatte ich selbst einen Pfingst-Ausflug nach dem Vierwaldstädter-See unternommen, und bin heute noch von dem Frühlings-Bilde der Schweiz entzückt, wie es mir in der Erinnerung vorschwebt.
Leider sind mir diesmal die Aussichten Dich dorthin begleiten zu können benommen. Es hält mich mein Buch hier, die Anatomie nämlich, für welche || ich manche Capitel ganz neu zu bearbeiten habe. Und die Arbeitszeit hat mir das Alter sehr beschnitten, wie ich Dir früher schon mittheilte. So muß mir die Pfingstwoche herhalten. Zudem habe ich einen Zeichner sitzen, den ich noch nicht entlassen kann.
Aus diesen Gründen hat ein den Pfingstferien zur Ausführung zugedachtes Familien-Project bereits zurückstehen müssen.
Aber es bleibt mir doch noch von Deinem schönen Plane etwas übrig, was mir höchst werthvoll ist: Dich auf der Durchreise wieder zu sehen. Du wirst es ja doch gewiß so einrichten können, daß Dein Verweilen in Heidelberg sich nicht auf ein Paar allzurasch verstreichende Stunden || beschränkt, wie Du nach Deinem Briefe in Aussicht stellst. Das wäre fast frevelhaft, möchte ich sagen, gegenüber der Kürze des Lebens, das mir etwa noch vergönnt sein mag. Richte Dich daher doch etwas Anders ein, etwas humaner und freundschaftlicher. Die raschen Eisenbahnen bringens ja wieder es reichlich ein, und für mich wird es zu den selten gewordenen Freuden gehören, wenn Du Deinen Aufenthalt nicht so erschrecklich kurz bemissest. Alles Andere bis zum baldigen Wiedersehen !
Stets Dein altgetreuer
C. Gegenbaur