Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 9. Dezember 1894

Heidelberg, 9. Dez 94

Liebster Freund!

Mit bestem Danke für Deine Sendung verbinde ich herzliche Glückwünsche zur Großvaterschaft und freue mich ebenso über a das Erscheinen der Phylogenese, welche schon ihren Weg machen wird, auch ohne gelehrten Apparat. – Ich habe oft schon darüber nachgedacht, daß wir in jener Richtung allzusehr im Pedantismus verfallen sind, und kaum einen Satz zu Papier bringen, ohne ein halbes Dutzend Namen daran zu hängen, wie unseres Freundes Kölliker neue Histologie exemplificirt.

Leydigs Brief, den ich hier wieder beischließe, hat mich doch etwas überrascht, obschon ich den Mann als an Verfolgungswahn leidend beurtheilte. Er dauert mich sehr, aber zu helfen dürfte ihm nicht sein. Deßhalb habe ich auch jeden Versuch, ihn wenigstens von dem mich betreffenden Stücke jenes Wahns zu befreien, längst || aufgegeben. In Deinem Falle möchte die Zusendung der Festschrift an die Frau wenigstens bei dieser wirksam sein. Er selbst ist unverbesserlich, das ersah ich schon aus der mir einmal von Dir mitgetheilten Photographie!

Die mir jüngst zugekommene Nachricht, daß ich eine neue Auflage meiner Anatomie vorzubereiten hätte, kommt mir sehr in die Quere. Ich war der Meinung, daß es, dem Umfange der letzten Auflage gemäß, damit noch Zeit habe. So nun werde ich wiederum in meiner Vergl. eine Unterbrechung eintreten lassen müssen. Und dabei stehe ich vor der Pforte der siebziger um nicht zu sagen vor dem Ende des Daseins! Wenn es mir gelingt, die eventuelle Revision des Drucks der Anatomie in geeignete Hände zu legen, kann ich den 1 Band der vergl. Anat. noch in diesem Wintersemester zum Drucke gehen lassen, aber das ist noch unsicher. Ueberall ist doch das Gute der Feind des Besseren!

Bezüglich des Studiums des jungen Dohrn in Heidelberg, kann ich Dir || positiv mittheilen, daß Dr Klaatsch dabei gänzlich außer Spiel ist. Ich bin jetzt über die Sache vollkommen aufgeklärt.

Daß Walter jetzt auf eigenen Künstlerbeinen steht, habe ich mit Befriedigung vernommen. Es muß Dir eine große Freude sein, so die Arbeitstheilung in der Descendenz zum Ausdrucke kommen zu sehen, und Du magst in dem glücklichen Verfolge eines schönen Lebenszieles durch Deine älteren Kinder eine Compensation finden, für das Unzulängliche, welches uns Allen als Begleiter bleibt.

Bei uns geht es auf dem alten Wege, womit ich ganz zufrieden bin. Auch von meiner Tochter in Danzig hatten wir bisher immer gute Nachricht. So mag der alte Curs bleiben, im Kleinen, da er im Großen längst unmöglich ist. Wir verdienen auch da nichts Besseres, denn die Nation geht doch immer nur auf der Bahn, die sie sich selbst bereitet hat.

Herzlichen Gruß von Haus zu Haus, auch an Walter, wenn Du ihm schreibst, von Deinem alten Freunde

C. Gegenbaur

a Gestr.: die.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
09.12.1894
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10148
ID
10148