Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 1. Juli 1894

Liebster Freund!

Schon längst wollte ich Dir danken für die hübschen Bilder, mit denen Du mich bedacht hast, und von denen mich eines als das gelungenste Product der Wiedergabe Deiner Persönlichkeit, nicht blos nach der äußeren Seite sondern auch in der Darstellung des inneren Ausdruckes treu, am meisten erfreute.

Seitdem ist der schön begonnene Frühling in einen unfreundlichen Vorsommer umgeschlagen, der erst seit kurzem den Sommer zu seinem Rechte kommen läßt. Schon beklagen || sich die unzufriedenen Menschenkinder über Hitze, über die ich mich nur freuen kann, wenn sie mir auch in manchen Dingen hinderlicher ist, als ihre kühle Schwester. So kann ich denn auch in dieser Hinsicht sagen, daß es mir gut geht, und daß ich das, was mir an Arbeitskraft noch vergönnt ist, auszunützen bemüht bin, und mich freue, wenn mir darin keine Störung wird. Man wird freilich mit dem zunehmenden Alter bescheidener, aber darin liegt auch eine Gewähr der Zufriedenheit, und diese selbst begründet die innere Harmonie.

Ueber die Aussicht Dich wieder || einmal zu sehen – es sind seit der letzten Begegnung drei Jahre vergangen – habe ich mich recht gefreut, und möchte nur wünschen, daß Nichts dazwischen kommt.

Neulich ward uns auch durch den Besuch Hartungs eine große Freude mit der viele alte Erinnerungen erweckt wurden. In unseren Zeitläuften ist es hochanzuschlagen, wenn man von Leuten, mit denen man nur äußerliche Beziehungen besaß, nicht sofort vergessen ist. Und was ward denn unsererseits je für jene alten Hauswirthe geleistet, daß noch eine gute Erinnerung geblieben ist! Da steckt mehr warme Empfindung, als in höheren Lebenskreisen. || Empfange nun noch beste Wünsche zur Großvater-Prospective, und dazu herzliche Grüße von Haus zu Haus von

Deinem alten

C. Gegenbaur.

Heidelberg, 1. Juli |1894.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
01.07.1894
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 10145
ID
10145