Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 15. Februar 1894

Heidelberg, 15 Febr. 94.

Liebster Freund!

Du begehest morgen Deinen sechzigsten Geburtstag, der mich an längst vergangene Zeiten erinnert, als wir beide noch jung waren, vielleicht auch manche Dinge in anderem Lichte erblickten, als sie jetzt sich uns darstellen.

Daß es mir vergönnt sein würde Dir zu diesem Tage meine herzlichsten Glückwünsche zu senden, hatte ich vor Jahren, als ich mich || in dem gleichen Falle, wie Du jetzt, befand, kaum zu hoffen gewagt; um so dankbarer empfinde ich jetzt die mir gestattete Ausführung, und freue mich, wie Du auf den zurückgelegten, ein so reiches Leben umfassenden Zeitabschnitt in bewährter Jugendfrische zurückblickst. Du kannst Dir sagen, Deinem Leben einen schönen Inhalt gegeben zu haben, genußreich im besten Wortsinne für Dich, fruchtbringend für die Wissenschaft und damit auch für die Menschheit. Denn || was wäre Wissenschaft werth, wenn sie nicht ihr Licht auch über die Welt verbreitete, und im Forschen nach Wahrheit, und damit auch nach Recht der Veredlung und der Vervollkommnung des Menschengeschlechtes Ziele und Wege wiese? Dagegen müssen die Wolken sich zerstreuen, welche die Kinder der Finsterniß um Dich zu hüllen versucht haben.

Und wenn dieser Tag zum Anlasse und zur Gelegenheit wird, Dir mit der Anerkennung auch. Genugthuung für die Unbilden zu bringen, welche in des Lebens Kämpfen Keinem erspart bleiben, || so denke, wie sehr ich auch darüber erfreut bin. So überschreite tapfer und rüstig, wie immer, das zwölfte Lustrum, und empfange dazu nochmals wärmste Wünsche und beste Grüße von Haus zu Haus!

von Deinem alten Freunde

C. Gegenbaur

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
15.02.1894
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10143
ID
10143