Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 25. Juli 1890
Heidelberg, 25. Juli | 1890.
Liebster Freund!
Für Deine theilnehmenden Worte empfange meinen besten Dank! Es liegt eine recht schwere Zeit hinter uns, und meine Frau hat bei ihrer nervösen Natur sehr darunter gelitten. Sie lässt Dir gleichfalls danken. Wie geht es mit Deiner lieben Frau? Wir hoffen daß der Anfall gut vorüber gieng. Daß Deine Tochter ihren Besuch bei uns verschob, war übrigens auch nach einer dritten Seite hin sehr zweckgemäß, denn wir hatten bis heute das denkbar schlechteste Wetter. Den Sommer über bin ich noch nicht dreimal in die Berge gekommen und mußte froh sein, wenn einmal eine freundliche Abendstunde einen Sprung auf das Schloss erlaubte!
Meine durch Wochen unterbrochen gewesenen Arbeiten an der Vergleichenden || habe ich jetzt wieder aufgenommen und finde viele Freude daran. Es ist in der That recht viel zu thun, und ein ungeheures Material muß durchgearbeitet werden, aber ich gedenke es zu bewältigen und finde dabei überall neue Gesichtspunkte. Diese Arbeit soll zugleich eine Antwort für den besonders elenden Dohrn sein, mit dem persönlich einzulassen ich wenig Neigung verspüre. Auch scheint mir die Zeit zu edel, um sie mit der Beschäftigung mit diesem Hallunken zu vergeuden!
Am 2. Aug. schließe ich mein Semester, und etwa am 11 werden wir in die Schweiz gehen, zunächst nach Luzern., Wahrscheinlich lassen wir uns am See irgendwo nieder. Ich habe speciell Hertenstein im Auge, welches bei aller Nähe || von Luzern, ein dem Femdengewühle ziemlich entrückter Punkt ist, der eine beschauliche Existenz begünstigt. Es wäre schön, wenn wir uns da oder irgendwo anders begegnen könnten. Doch zu Alledem bedarf es zuvor einer Umstimmung des Himmels!
Beste Grüße an Deine liebe Frau und gute Wünsche für deren Befinden, von mir sowohl wie von meiner Frau. Damit lebe wohl!
Stets Dein treuer
C. Gegenbaur