Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 4. Februar 1890

Heidelberg, 4 Febr. 1890.

Liebster Freund!

Das war ein schlechter Eingang in das neue Jahr! Meine ganze Familie ward gleich in den ersten Tagen von der Seuche befallen, zuletzt folgte ich, der durch eine heftige Bronchitis sehr zu leiden hatte. Obwohl das ganz gut ablief, hat‘s mich doch ganz gewaltig angegriffen. Vorgestern habe ich den ersten Ausgang versucht. Es war mir, wie nach einer schweren Krankheit nur mühsam fand ich die Wegsteuerung! So sind wieder fünf schöne Wochen im Kampfe um die Existenz dahingegangen. Man fragt sich, ob es sich lohnt!

Wie ist es Dir und den Deinigen ergangen in dieser Zeit? Ich will hoffen, daß Ihr verschont geblieben. Auch in den Köpfen der Menschen scheint das Gefüge sich gelockert zu haben und es treibt jetzt || allerlei Unrath sich auf der Oberfläche unseres öffentlichen Lebens herum, von dem man hier vordem nichts oder wenig bemerkte. „Freisinnige“, Sozialdemokraten und Ultramontane, theilweise zu lieblichen Banden vereinigt, bemühen sich für die nächste Wahl a sich geltend zu machen. Auch in die Universität dringen bereits jene dunklen Mächte ein, und bei der jüngsten Prorectorswahl handelte es sich um einen „freisinnigen“ Candidaten, der fast die Majorität erhalten hätte.

Anderwärts wird es nicht viel anders sein. Vielleicht ist es diesem allgemeinen Aufsteigen des Bodensatzes zu danken, daß auch Herr Dohrn seinen Kamm wieder geschwollen trägt, wie ein Artikel des Anatomischen Anzeigers neulich bekundete. Daß Ihr seine Zumuthungen abgewiesen, freute mich zu vernehmen. Wenn‘s andere ebenso machten, wäre gut. Jenen Artikel sieh Dir doch an, er ist interessant, der die || Allianzen mit His ausdrückt, und dadurch ganz an das Bündniß des „Freisinns“ mit den Schwarzen erinnert, von dem er eigentlich ein Abbild ist.

Hoffentlich höre ich bald etwas von Dir, und zwar Gutes, wie es sich zu vernehmen wünscht

Dein treuer

C. G.

Herzliche Grüße von Haus zu Haus!

a Eingef.: sich

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
04.02.1890
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10113
ID
10113