Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 16. Februar 1889

Heidelberg, 16 Febr 89

Liebster Freund!

Der Trauerrand an Deinem Briefe ließ mich dessen Inhalt ahnen. Wie sehr ich den Verlust dieses theuren Hauptes mit Dir beklage und den wärmsten Antheil nehme, brauche ich Dir nicht zu sagen. Die Erinnerung an die Entschlafene beginnt für mich in einer Periode höchsten Glückes und tiefsten Schmerzes und das Bild Deiner Mutter ist seitdem mit jenen mir unzertrennlich verbunden gewesen. Die lange, seitdem verstrichene Zeit hat an jener Verknüpfung nichts zu ändern vermocht. Auch das Gefühl der Verehrung und Hochschätzung welches die ganze Persönlichkeit Deiner Mutter mir einflößte ist, seit der ersten Begegnung mir unverändert geblieben. Liegt dort doch die Quelle aus der die Freundschaft entsprang, die mich mit dem Sohne verbindet. Wie ich diese stets hoch ǀ| halte, so wird mir auch das Andenken an die Mutter heilig bleiben, und dieses soll zum festen Bande werden das uns von Neuem verbindet. –

Die Aussicht auf Deinen Besuch nach langer und schwerer Winterzeit erweckt in mir frohe Gedanken und wird von uns freudig begrüßt. Mir geht es seit ein paar Monaten entschieden besser, indem schlimmer Zufälle sich nicht wieder einstellten und die Schlaflosigkeit obwohl noch nicht ganz verschwunden, doch nicht mehr so häufig wiederkehrt. Es ist diese übrigens, rein nervöser Natur und ich vermag nach dem Verlaufe des Tages und meinem Verhalten am Abend so ziemlich genau zu beurtheilen wie die Nacht sich gestalten wird. Strenge Geistesthätigkeit muß ich gänzlich meiden. Eine mich zu Combinationen anregende Lectüre ist mir des Abends schädlich. Leider kann ich es nicht immer vermeiden! ||

Viel Bewegung im Freien und des Abends ein paar Stunden gemüthliches Plaudern hat die beste Wirkung gehabt. Für die Arbeit kommt dabei freilich nichts heraus! Aber es gilt auch da sich zurecht zu finden.

Deinem Bruder bitte ich den Ausdruck meiner theilnehmenden Gesinnung zu melden und meine Frau schließt sich mir in gleicher Empfindung an. Indem wir Dich wie Deine Frau herzlich grüßen

bin ich wie immer

Dein treuer

CGegenbaur

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
16.02.1889
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10102
ID
10102