Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 18. Juli 1887

Heidelberg, 18 Juli 87.

Liebster Freund!

Gerne möchte ich Dir gute Nachrichten aus meinem Hause senden, allein es ist mir nicht möglich, solches mit aller Befriedigung zu thun. Der Zustand meiner Frau ist nämlich, nachdem sie die große unbekannte Krankheit glücklich überstanden, und seit drei Wochen etwa außer Bett sich befindet ein keineswegs erfreulicher. Unsere und auch der Aerzte Erwartung, daß durch oder mit der Krankheit das frühere Leiden verschwinden würde, ist nicht eingetroffen. Mit zunehmender Reconvaleszenz hat es sich wieder eingestellt. Vom Gehen ist daher keine Rede, auch sonst noch manches Lästige wieder gekommen.

Zu Pfingsten war es absolut unmöglich, von Hause zu gehen. Kurz vorher, waren noch Fieberanfälle (40°) || eingetreten. Ich glaube, das waren die letzten. So ist es mir auch gegenwärtig noch unklar was wir zum Herbste beginnen. Die Aerzte wollen für meine Frau eine „Luftveränderung“. Wie das aber ausführen, weiß ich nicht! So lebe ich denn ziemlich in den Tag hinein und bin froh, wenn jeder neue mir nichts schlimmeres gebracht hat.

Wenn Hertwig Jena verläßt, sollte es mir sehr leid sein, einen Mann wie Bardeleben zum Nachfolger aufrücken zu sehen. Von H. erwarte ich kaum, daß er etwas dagegen thun wird, oder auch für einen besseren Ersatz sorgt. Als solchen halte ich Fürbringer für den unbedingt geeigneten. Er ist wie ich schon von seiner hiesigen Thätigkeit her weiß, ein sehr anregender Lehrer. In Holland schätzt man ihn sehr. Wenn Du schreibst, er habe lange Zeit nichts gearbeitet, oder publicirt, so hast || Du wohl vergessen, daß ich Dir mittheilte, wie er mit einem großen Werke über Morphologie der Vögel beschäftigt ist. Er schreibt nun die Aushängebogen, darunter bereits 60 in gr. 4° sind! Dazu ca. 20 Tafeln. Es ergeben sich sehr wichtige Verhältniße, welche die Systematik umgestalten werden usw. Das leidige Intermittum, welches ihn jeden Januar in Amsterdam befällt, hat den Abschluß des Werkes verzögert. In einem weiteren Jahre wird auch der Rest gedruckt sein. Er selbst sehnt sich begreiflicher Weise nach dem Ende, um neue Themata anzugreifen. Ruge ist ebenfalls sehr tüchtig, allein F. ist der universellere und läßt mich sowohl seine Kenntniße wie sein Urtheil überaus hochschätzen.

Als vor einiger Zeit Althoff hier war, habe ich F. sehr dringend empfohlen. In Berlin ist natürlich Niemand, der etwas von seinem Arbeiten weiß, noch weniger jemand, der ihn beurtheilen könnte. Ich habe bei jener Unterhaltung zwar viel guten Willen bemerkt, aber doch in der Complementär-Theorie, oder besser Compensations-Methode, die man || dort im Schilde führt, nicht den richtigen Weg erkannt. Das bringt die Studenten nur in Confusion. Immer ist‘s freilich besser als gar nichts. Heute erhielt ich in anatom. Angelegenheit von H. Müller einen Brief, den ich nächstens beantworten werde. Ich bin sehr begierig, wie die Dinge laufen werden, und ob die Regierung so unvernünftig sein wird, sich B. aufdrängen zu lassen.

Ich habe eben die dritte Auflage meines Lehrbuches im Drucke und habe bei gegenwärtiger Beschäftigung mit vergl. Anatomie viel zu thuen. Freilich verzeichne ich auch wieder ein Vierteljahr der Unthätigkeit. Mit herzlichen Grüßen und Empfehlungen von Haus zu Haus

Dein alter

C G.

Brief Metadaten

ID
10093
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Großherzogtum Baden
Datierung
18.07.1887
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,1 x 22,5 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10093
Zitiervorlage
Gegenbaur, Carl an Haeckel, Ernst; Heidelberg; 18.07.1887; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_10093