Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 23. Oktober 1886

Heidelberg, 23 Oct. 86.

Liebster Freund!

Die Jubelfeier ist nun längst verklungen und es beginnt bereits die Sage ihre Ranken um sie zu schlingen wie auf unserem Schlosse der Epheu ums Gemäuer. Aber in der Erinnerung ist mir noch Alles lebendig und da ist mir das Liebste, daß Du, alter lieber Freund, daran theilnahmst, und daß diese Theilnahme mir, oder besser uns, die Freude verschaffte Deinen Walter kennen zu lernen. So mag uns denn das gemeinsam hier erlebte dazu dienen uns oft in der Erinnerung zu begegnen! –

Nach dem Jubiläum blieben wir noch 8 Tage hier um dann dem Schwarzwalde zuzueilen wo der weibliche Theil in Hornberg bleib indeß die männliche Familienhälfte || es auf Heiligenberg abgesehen hatte. In der Einsamkeit jener herrlichen Wälder fand ich zu dem ziemlich turbulent durchlebten Sommer und dessen festlichen Abschluß wohlthuende Contraste, und auch meinem Fritz hat es gut bekommen. Auf dem Heimwege ward noch in Würzburg für ein paar Tage Station gemacht, und Mitte September traf mich wieder hier, von wo ich nun noch einmal auf eine Woche nach Stuttgart ging, dessen Umgebung mir sehr sympathisch ist.

Deine freundliche Einladung mit meiner Else zum October nach Jena zu kommen, setze ich herzlichen Dank entgegen. Mit meiner Tochter hätte ich die Reise gar nicht unternehmen können, da jene durch die Schule hier gehalten wird, und Ferien gibt’s da nach Mitte September keine mehr. Meine Kinder sind durch Deine liebenswürdige Sendung sehr erfreut worden. Sie werden selbst noch danken. ||

Deine Mittheilungen über Berliner Erlebniße haben mich sehr interessirt. Ueber Virchow habe ich mich gefreut, und möchte das auch von der Gastrede sagen, wenn ich nicht wieder einen Keimblätter-Artikel, wie der letzte war, für möglich hielte. Wenn Waldeyer die Gastraeatheorie wirklich capirt hat, so ist das erst neuesten Datums! Vorläufig kann ich noch nicht recht daran glauben, und möchte abwarten bis das, unverquickt mit His und Kölliker einmal lauter zum Vorschein kommt. Die Berliner Versammlung hat übrigens noch in der „anatomischen Gesellschaft“ ein nettes Kindlein gezeugt. Kölliker1 schrieb mir wegen meines Beitrittes. Ich habe ihm meine Meinung nicht vorenthalten, aber auch erklärt, daß ich mich nicht ausschließen wolle. Was das herauskommen wird, werden wir ja bald sehen. Auch Schwalbe machte mir neulich in dieser Sache wieder eine Katzenvisite.

Zur Ritterstiftung empfange meine aufrichtigen Glückwünsche, das ist in der That eine hervorliche Sache, die ich Dir und Jena von Herzen gönne. Wenn Lang sich ordentlich anläßt, ist das ja für Dich ein großer Gewinn. || Ob den Jenensern inzwischen nicht ein besseres Licht aufgegangen ist, nachdem die Magnificenz doch wohl jetzt, um mit dem Leipziger Pedell zu reden, in a ihr früheres Nichts zurückgekehrt sein wird.

Seit ich wieder hier bin habe ich habe ich mich eifrig mit der Vergl. Anat. beschäftigt. Es ist unglaublich welche Confusion existirt. Da habe ich die ganze Litteratur über Kopfanatomie durchgearbeitet, und bin eben daran eine kritische Abhandlung darüber niederzuschreiben. In dem Buche kann ich diese Dinge nur vorübergehend berühren, und wenigstens einiges möchte ich vorher ausgesprochen haben, wenn’s auch nicht viel nützen wird. Erst hatten wir mit der Reaction von der Rechten zu thun, jetzt hat sich die Linke aufgemacht um die Sache zu verpfuschen. Die neapolitanische Camorra an der Spitze. Die Ferienerholung hat mir rechte Arbeitslust gemacht und ich will hoffen diesen Winter das durch die Jubelvorbereitungen Versäumte einzuholen. Nachdem wir bis vor wenigen Tagen noch Sommer hatten – die Wälder frisch grün! – ist jetzt der Herbst da, bald auch der Winter! Aber in all’ diesen Veränderungen bleibe ich Dein treuer CG.

b Beste Grüße von Haus zu Haus! Meiner Frau ging es sehr wechselvoll, erst seit einer Woche wieder ordentlich.

c Fischer hat sich endlich in seinen Hausverkauf gefunden! Als Miethsmann kann ich mir ihn gar nicht vorstellen. Der April wird das Weitere lehren!

d Für die Züricher Zeitung besten Dank, ich habe mich sehr darüber amüsirt, wenn’s auch zu einer künftigen Geschichte des Festes nicht die reichste Quelle abgeben wird.

a gestr.: sein; b senkrecht am linken Rand der vierten Seite: Beste …ordentlich; c senkrecht am linken Rand der dritten Seite;: Fischer …lehren; d senkrecht am linken Rand der zweiten Seite: Für …wird.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
23.10.1886
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10086
ID
10086