Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 22. Februar 1886
Heidelberg, 22. Feb. 86.
Liebster Freund!
Die neuliche Sendung ist zu Deinem Geburtstage wohl noch rechtzeitig angekommen. Sie sollte Dir mit dem Brief meine besten Grüße melden, und den Wunsch daß Du mit den Deinigen den zweiten Theil dieses so vertrackten Winters gut durchlebtest. Ich für meinen Theil kann zwar über Letzteren nicht klagen, aber in meinem Haus geht es immer noch nicht gut und ich sehe mich mehr denn sonst durch das Leiden meiner Frau gestört, obwohl sie selbst Alles thut um ihre Umgebung nicht zu belästigen. So komme ich denn weniger zur Arbeit als ich wünschte. Dazu kommen noch die Vorbereitungen zu || unserem Jubiläum, welche in a unzähligen Sitzungen gleichfalls viele Zeit consumiren. Was diese letztere Arbeit aber durchaus unerfreulich macht, das ist die ziemlich sichere Aussicht auf einen kläglichen Ausgang jenes seltenen Festes. Aus persönlichen Gründen hat man den zum Prorector einzig tauglichen Mann nicht gewählt. Es ist ganz unglaublich wie verblendet die Majorität der Collegen verfuhr. Was Majoritäten bedeuten, das wird da exemplificirt! Im Kleinen ein Abbild der Majorität des Reichstags. So drängen sich die Verstimmungen von allen Seiten herein.
Von all dem werde ich in den Osterferien Erholung und Erfrischung im Süden suchen und habe die Absicht, etwa zu Ende des März wieder nach Lugano zu gehen. Wie wäre es schön, wenn Du mit kommen wolltest! Ueberlege Dir Das doch und schaffe die Radiolarien || zur Seite. Ein dort genossenes Otium, ferne von der Misere des schlechten „Frühjahrswetters“, das um jene Zeit nicht zu fehlen pflegt, entschädigt für Vieles. In den Jahren, in denen ich stehe, weiß ich ohnehin nicht, ob mir noch oft mit Dir zusammen zu genießen vergönnt sein wird. Also siehe zu, daß Du Dich los machst.
Und nun herzliche Grüße von Haus zu Haus.
Dein alter
C. Gegenbaur
a von oben eingefügt: in.