Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 23. Dezember 1881
Heidelberg, 23. Dez. |1881.
Liebster Freund!
Nachdem bereits vor einigen Wochen Deine glückliche Ankunft auf Ceylon durch die Zeitungen ging, hat mir jüngst Deine Postkarte jene Nachricht bestätigt und mich mit rechter Freude erfüllt. Diese ist um so größer als ich wegen der in Arabien herrschenden Cholera große Besorgnisse um Dich hatte. Gottlob, daß sie unbegründet waren. Ich habe mich während meines Schweizer Aufenthaltes recht erholt, so daß ich mit dem Semesterbeginne meine Vorlesungen ohne jede Schwierigkeit anfangen und bis zu den heute begonnenen Weihnachtsferien ununterbrochen weiterführen konnte. Nach und nach verlor sich eine übrig gebliebene Schwierigkeit nach der anderen, und jetzt ist auch eine sehr intensive Intercostalneuralgie die mich vier Monate lang peinigte und die sich über die ganze rechte Brust- und Bauchwand erstreckte fast völlig verschwunden. Auch die Albuminurie welche im August schon so gering war daß sie der Neubildung meiner ganzen Muskulatur kein Hinderniß ǀ| abgab, ist fast ganz geschwunden, und der bisherige Gang des Heilprozeßes läßt mich erwarten, daß die jetzt noch hin und wieder vorkommenden „Spuren“ ausbleiben. Dazu wird es wohl noch einige Monate bedürfen, während welcher ich mir Schonung auferlegen muß. Mein allgemeines Befinden, Appetit, Schlaf und Stimmung sind vortrefflich, und mein Aussehen ist, wie mir die Leute sagen, besser als vor der Krankheit, wie ich denn auch längst wieder mein früheres Volumen erreicht habe!! Aber wenn ich’s nicht wüßte, würden mir die grauen Haare es sagen, welch’ schwere Krankheit ich überstand! Es ist merkwürdig, was Alles ein Mensch ertragen kann! Die Basis meiner Erkrankung war wahrscheinlich ein Intoxicationsprozeß, den ich mich in der Anatomie innerhalb einer längeren Zeit zugezogen hatte. Nur bei einer solchen Annahme wird mir manches verständlich. Daß ich mich jetzt nicht in die Arbeit stürze, wird Dir begreiflich sein. Eine gewisse Nervosität, die aber gleichfalls im Abnehmen ist, gebietet mir des Abends jeder Arbeit zu entsagen. Die Lectüre des harmlosesten Aufsätzchens hat eine total schlaflose Nacht zur Folge. So beschäftige ich mich denn täglich nur einige Stunden ǀ| mit dem Drucke meiner Anatomie und habe auch wieder zu zeichnen begonnen. Das Alles geht aber für’s erste noch sehr langsam vorwärts, aber ich muß froh sein überhaupt wieder zur Thätigkeit mich im Stande zu fühlen. Doch diese Krankengeschichte passt wenig zu dem Genusse tropischer Landschaft, dem Du, Glücklicher, Dich jetzt so ganz ergeben kannst! Wie möchte ich manchmal ein Stündchen bei Dir sein! Aber welcher Contrast, den Jahreszeit und Wetter uns bieten! Wir haben hier zwar gleichfalls bis jetzt noch keinen Schnee gesehen, aber der Himmel und die Temperatur versprechen weiße Weihnachten! Wo wirst Du wohl Dein Weihnachtsfest verbringen? Hoffentlich lassen gute Nachrichten von den Deinigen Dir auch unter Palmen Weihnachtsfreude genießen. Bei mir im Hause geht es ganz gut, wenn ich, wie gebührend die manichfachen Kindergeschichten in Abzug bringe. Auch meine Frau ist, gegen das Vorjahr, recht wohl, obschon sie den Sommer über durch meine Krankheit schwer mitgenommen wurde.
Wie es bei uns im lieben Vaterlande aussieht, können Dir die Zeitungen besser sagen, als ich, der ich mich wenig um die politischen Dinge kümmere. Ich denke, Du bist auf demselben Wege. Auch die Wissenschaft bietet nichts bemerkenswerthes als daß die || einseitig betriebene Ontogenie immer mehr die Phylogenie außerordentlich confus macht und auf Abwege bringt. Balfour ist von His nur durch den besseren Willen verschieden. Im Uebrigen scheint mir sein Buch die darin gebotenen Fortschritte durch ebensoviele Rückschritte zu compensiren. Das wird wohl noch eine Weile so fortgehen, bis die Leute sehen, daß eigentlich nichts herausgekommen ist. Daß Moseley die Oxforder anatom. Stelle bekommen hat, weißt Du. Es waren viele Kämpfe zu bestehen, dh. bornirte Anatomiker bewarben sich heftig. Ich freue mich daß sie zurückgewiesen sind. Lankester bewirbt sich jetzt um Thomson’s Stelle! Auch die Separation der Siamesen hat mich gefreut, es ist für beide das Beste. Unser Zoologe macht sich jetzt Hoffnungen auf Rostock! Ich glaube aber kaum daß er geht. Obschon ich nichts an ihm habe ist er mir doch nicht störend, wie es leicht sein Nachfolger sein könnte. Aber um All das wirst Du Dich jetzt am wenigsten kümmern. Genieße Deine Reise im Vollmaaß, nimm meine besten Wünsche dazu wie zum Jahreswechsel, der unsere alte Freundschaft unberührt lassen mag.
Lebe wohl und denke zuweilen Deines
treuen
CG.
Friedreich trägt mir Grüße an Dich auf Gleiches melde ich auch von meiner Frau.