Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 30. Januar 1881
Heidelberg, 30. Jan 1881.a
Liebster Freund!
Daß ich Dir nicht sofort antwortete lag in der Erwartung über die von Dir gestellte Frage irgend eine Auskunft gebende Erkundigung einziehen zu können. Das ist mir aber nicht möglich gewesen. Somit kann ich Dir dießmal nur meine besten Wünsche senden daß die Besetzung der botan Professur gut ausfallen möge. Ich denke mir ihr habt Euch weniger nach dem Alter als nach den Leistungen und sonstigen wichtigen Eigenschaften gerichtet, der Jüngere wird sich besser an Dich anpassen als ein Aelterer vermag. Daß Straßburger nach Bonn geht habe ich erst durch Deinen Brief erfahren und mich eigentlich darüber gefreut, wenn auch der Verlust den Du dabei haben wirst mir andere |ǀ Empfindungen nahelegte. Wärest Du doch auch nach Bonn gegangen! In einem gewissen Alter muß man von Jena gehen, man braucht es ja deßhalb doch noch nicht gering zu schätzen. Melde Straßburger meine Gratulation.
Von O Hertwig erhielt ich jüngst die Nachricht von seiner Ernennung. Er kann sehr darüber froh und Dir dankbar sein. Wenn er es richtig anstellt wird er seine Gegner bald überzeugen können, daß sie Unrecht hatten. Vor Allem muß er energisch den Präparirsaal cultiviren, da wird er selbst sich erst zum Anthropotomen bilden. Es gibt auch kaum etwas dankbareres im anatomischen Unterricht als die Praeparirübungen. Ich bin nun bald ein Vierteljahrhundert in diesem Fache und muß sagen daß ich an meiner Freude am Unterweisen keine Minderung erfahren habe. Du wirst Dir denken: der hat sich rückgebildet! Dem ist aber nicht so. Man kann allerdings im Präparirsaal verknöchern |ǀ aber man muß es nicht, und man wird es nicht, sobald man aus dem Material Ideen schöpft und nicht blos zu lehren sondern zu lernen sucht. Darin scheint mir überhaupt der ganze Witz zu liegen, daß man sich das „docendo discimus“ zu realisiren sucht.
Lebe wohl und sei vielmals gegrüßt
von Deinem
CG.
a Korrigiert: 1880 zu 1881.