Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 24. Oktober 1880

Heidelberg, 24. Oct. | 1880.

Liebster Freund!

Meinen gestrigen Brief, den Du als ostensibel betrachten kannst, wirst Du jetzt in Händen haben. Er enthält wohl manches Scharfe, allein in einer solchen Sache und solchen Leuten gegenüber kann man nicht deutlich und laut und scharf genug sich aussprechen.

Ich bin nun sehr begierig wie die Sache verläuft. Sorge nur in Weimar vor, daß dort nicht etwas verfahren wird. Ich würde, an Deiner Stelle, selbst bis zur Person des Großherzogs gehen, wenns nöthig sein sollte. Du bist auf sein Zureden hin in Jena geblieben und das geschah doch nur in der Voraussetzung daß man Deine Wirksamkeit nicht hemmt. Nur keine Zurückhaltung und kein vorzeitiges Schmollen!

Ich sollte denken daß Preyer oder Schulze ihre Meinung zurücknehmen, wenn || man ernstlich mit ihnen spricht. Es ist doch keine Schande einen Irrthum einzusehen, und ein Irrthum ist die Meinung daß Du kein Interesse an der Sache haben könntest, und dasselbe nicht zur Geltung bringen müßtest. Schwalbe hat ja, als der Weggehende, keine Decisivstimme in der Sache. Also würde bei einer neuen Facultätsverhandlung doch eine Majorität für Fürbringer und Hertwig zu gewinnen sein. Fürbringer würde ich persönlich vorziehen. Was Wiedersheim betrifft, so haben wir uns ja im Herbst über ihn ausgesprochen. Ich halte ihn für sehr oberflächlich, ohne andere Ziele als die eines Strebers. Born wäre mir lieber. Er ist aber Jude und die entpuppen sich oft zu ganz unangenehmen Kerlen. Weiter weiß ich Niemand zu nennen, denn die Mehrzahl der Jüngeren sind ganz unbedeutende Leutchen, aus denen nichts Ordentliches werden wird. Es ist etwas sehr Trauriges um eine solche Umschau.

So unangenehm Dir die Sache sein || mag, so lehrreich ist sie. Der Vorhang ist a von der Bühne emporgezogen und man erblickt die Acteure. Das Schauspiel ist zwar nicht erfreulich allein man ist nicht länger mehr wegen der Rollen zweifelhaft, und kann fortgehen wenns einem nicht gefällt. Schwalbe habe ich nie für ein großes Lumen gehalten, aber ich dachte mir nicht daß er so erbärmlich sei. Es ist gut daß man ihn ganz kennt. Hertwig kann sich noch eine Lehre daraus ziehen, eine recht heilsame, mag‘s gehen wie es will. Mein Bericht an Euren Curator hat sich an seine Zuschrift angeschlossen. Zu seiner Orientirung habe ich einen Excursus über die Entwickelung der neuen Anatomie und ihrer verschiedenen Richtungen vorausgeschickt, und dann erst die Personalfrage behandelt. Bei Aeby mußte ich zugeben daß er auf einen sehr beschränkten Gebiete der vergleichenden Anatomie] eine werthvolle Leistung aufzuweisen habe, im Vergleich mit Hertwig aber über nur b einen sehr engen wissenschaftlichen Horizont gebiete. Bei seinem Lehrbuch ist einfach auf den mangelnden Erfolg hingewiesen den das Buch für sich und für den Autor hatte! Ob der Bericht sonst dem Curator verständlich ist weiß ich freilich nicht. In der Hauptsache, der Personalfrage, kann ihm kein Zweifel bleiben.

Unter Seebeck wäre die ganze Angelegenheit || von vornherein auf andere Bahnen geleitet worden, und mir wäre die Schreiberei erspart geblieben. Ich hab‘s übrigens Deinetwegen und wegen der Sache gern gethan. Hoffentlich kennt kannst Du mir bald gute Nachrichten geben.

Siehe Dir doch die neueste Leistung der Berliner Anatomie in Hartmanns Lehrbuch an! Es ist außerordentlich erheiternd. Lebe wohl und empfange herzliche Grüße von Deinem

CG.

a Über dem Text eingef.; b über dem Text eingef.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
24.10.1880
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10048
ID
10048