Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 26. Dezember 1879
Heidelberg, 26. Dez. | 1879.
Liebster Freund!
Dein großartiges Opus mit welchem Du mich neulich beschenktest, läßt mich vor Allem Dir herzlichen Dank sagen, und zugleich besten Glückwunsch zur rühmlichen Unternehmung die der Hauptsache nach zu Ende geführt ist. Noch mehr werde ich mich freuen wenn ich einmal dazu gelangen werde mich in die Lecture des Werkes zu vertiefen, was fürs erste noch einige Zeit haben wird, denn annoch bin ich ganz Mensch, und von da bis zur Meduse ist‘s ein weiter Weg! Uebrigens war ich lange Zeit nur ein halber Mensch, wozu die paar Tage Münchner Aufenthalt das Ihrige gethan zu haben scheinen. Bald nachdem ich Dir das letztemal geschrieben hatte ward ich von einem sehr heftigen Statusgastrinom befallen, der mich bis dicht zum Semesterbeginn ans Zimmer fesselte, und mich recht herunter brachte. Seitdem habe ich mich wieder völlig erholt, und finde in der strapaziösen Semesterthätigkeit keine Anstrengung. Der unsere Gesamtfrequenz sehr beeinträchtigende Winter ist für meine Facultät günstig, und ich selbst habe überhaupt das beste Semester meiner anatomischen Thätigkeit, die schon || über ein Vierteljahrhundert hinaus ist. Ich lese heute wieder einmal Entwickelungsgeschichte, da Ruge das noch nicht übernehmen kann. Fürbringer vermisse ich zwar sehr, allein Ruge verspricht recht brav zu werden, und ist im Praeparirsaal eine vortreffliche Hilfe. Ich freue mich der hoffnungsvollen Entwicklung des jungen Mannes. Von Fürbr. habe ich gute Nachrichten. Er scheint ganz gut einzuschlagen, und wird bald wirksam gelten. Solche hoffnungsreichen Aussichten sind einem auch nöthig in dieser schweren Wintersnacht, die uns in Heidelberg doppelt drückt. Wir zählen jetzt Wochen in denen das Thermometer -5 nicht überstieg, häufig unter -10 und 15 stand. Alle unsere schönen Gefäßsysteme leiden und versagen oft die nöthigsten Dienste, so daß man sich den Jenenser Primitivzustand wünschen möchte, wenn man glauben könnte, daß diese Zeit von langer Dauer sein würde. Heute tobt draußen ein Sturm, der einen Umschlag anzudeuten scheint; da ein Steigen der Hg. auf -2 sich mit ihm einstellte. Der Kampf mit den Elementen spielt auch in meine Anstalt, und ist mir diese Ferien recht || hinderlich, da ich in denselben mir eine gute Arbeitszeit ausgedacht hatte, um noch einige Kapitel meines Buches fertig zu bringen. Statt dessen sehe ich jetzt zu Hause altes Ms. durch. Wie will ich froh sein, wenn das Ganze fertig ist! Es ist eine Befreiung, nach der ich mich sehne, und fast möchte ich die Tage zählen die noch zwischen liegen!
In meinem Hause geht es gut. Wir haben einen frohen Weihnachtsabend gehabt, da Alle gesund waren, selbst meine Frau, die häufiger an ihren alten Beschwerden laborirt. Ich hoffe daß es auch bei Dir fröhlich zuging und daß die Kälte sich nicht an der Gesundheit der Deinen bemerkbar machte.
Apropos! Letzten Herbst habe ich Helm’s MS durchgesehen, um es zum Druck zu geben. Ich fand aber außer corrigirbarem sehr vieles was ich nicht corrigiren kann. Es kommen da mehrere ordentlich naive Dinge vor, zb. über das Gehirn der Vögel, und ebenso über vieles andere, so daß ich die Arbeit unmöglich drucken lassen kann. Schreib mir einmal gelegentlich wo der Autor sich aufhält, damit ich die Arbeit ihm zurücksenden kann. Ich denke übrigens daran eine ähnliche || Aufgabe einmal einem Anderen zu geben, der die Sache unter meinen Augen ausarbeitet. Das stelle ich überhaupt jetzt jedem zur Bedingung, damit ich meine kostbare Zeit nicht wieder so verschwände, wie es bei Helm der Fall war. Ich schäme mich vor mir selber, wenn ich daran denke wie ich mit dieser Arbeit betrogen bin.
Hertwigs‘ haben mir jüngst ihre Actinien gesendet, es scheint eine ausgezeichnete Arbeit. Leider bleibt für sie für jetzt noch unnahbar für mich, wie so vieles andere. Sage Ihnen meinen besten Dank, da ich muß in allem sparen was Zeit kostet, sei‘s auch ein Briefchen. Das nächste Jahr mag besser werden! Vorerst aber wollen wir das alte gut beschließen, und das wünsche ich Dir von ganzem Herzen, mit den besten Wünschen zugleich fürs neue, Dir und den Deinen von mir und den Meinigen. Und dann hoffe ich auch daß uns das neue Jahr wieder einmal zusammenführt, denn das gegenwärtige ist das erste in welchem wir uns nicht gesehen haben! So glaube ich wenigstens, und trag‘ es dem Jahr nach! Dir aber sende ich noch mit letzter Zeile die herzlichsten Grüße von Deinem
treuen
CG.
Ich bin fürchterlich reactionär geworden!a
a „Ich … geworden!“ Nachtrag am linken Rand der letzten Seite.