Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 7. Oktober 1879

Heidelberg, 7. October |1879.

Liebster Freund!

So hatte denn diesesmal die Begegnung in München bei der Verabredung bleiben müssen! Wie sehr ich das auch bedaure so bin ich doch mit meiner früheren Abreise von München ganz zufrieden, da ich dadurch noch von einem Unwohlsein kam, welches mich in M. befallen hatte, und auch noch Gelegenheit hatte in Baden einen Tag den Naturforschern zu widmen. Meine Reise führte mich über Nürnberg und Regensburg-Landshut nach M. Von Regensb[urg] besuchte ich Kelheim wo mich die Walhalla ganz ohne heutige „Befreiungshalle“ aufs höchste befriedigte. Landshut bot mir in der Trausnitz einige erfreuliche Stunden. In München hielt ich mich das erstemale nur ganz flüchtig auf, und eilte nach Tölz, wo dann Halt gemacht wurde. Lenggries, Jachenau, Kochel und Walchensee wurden besucht, und über Mittenwald Partenkirchen zu einem längeren Standquartier genommen. || Bis auf zwei Regentage war ich vom herrlichsten Wetter begünstigt, und auch in München hatte ich herrlichen blauen Himmel, der mir manchmal den Besuch der Ausstellung beeinträchtigte. Es war das auch nicht so sehr nöthig, denn neben vielem vortrefflichen war eine solche Menge reinsten Schundes da, daß ich nicht begreife zu was eine Aufnahme-Commission bestand. Im Ganzen finde ich daß das Urtheil über das was zu malen ist, und das was nicht zu malen ist, immer mehr schwindet. In der regressiven Umwandlung ist auch Feuerbach begriffen. Sein Titanenkampf ist ein sehr mittelmäßiges Machwerk! Ob sich die Olympier auf dem Olymp, solch‘ schwere Massen, zum Mittelpunkte eines Deckengemäldes eignen, möchte ich auch bezweifeln. Cornelini hätte gewiß den Beschauer minder durch Felsen bedroht sein lassen. Aber die Tiefsinnigkeit der Composition läßt eben Feuerbach nicht zum überlegen der äußeren Bedingungen kommen; Makart, Carl V in Antwerpen war || auch interessant. Das ist doch ein anderer Kerl, keine Spur von Tiefsinn! Um so mehr Leichtsinn; man sieht‘s aber bei alledem lieber, als das farblose Feuerbachsche Zeug. Zum dritten will ich noch Pilotys großes Bild im Rathhaussaal erwähnen. Münchens Geschichte à la Kaulbach, aber viel besser componirt und gemalt. –

In Baden traf ich noch den vorletzten Tag der Versammlung. In unserer Section erfreute ich mich am Vortraegen Aeby’s und Waldeyers, die rein morphologisch waren, und mir zeigten wie die Leute doch selbst auf richtige Wege gelangen. Sonst hat mich nichts interessirt, und vor dem Endacte befand ich mich schon in Heidelberg. Der Sectenfänger Jäger scheint sich übrigens gut blamirt zu haben.

Ich bin jetzt wieder an der Arbeit; beim Zeichnen, was nur sehr mit Muße geschehen darf. Holzschnitte halten mein Buch sehr auf. Das Ms. ist so gut als fertig. Aber ich kann den Druck nicht beginnen lassen bevor die Holzschnitte fertig sind; wenigstens die für die erste Hälfte. Seit E.s Tod habe ich aber große Noth. Alles || mit E. mündlich verabredete ist verloren und vieles läuft jetzt ganz quer. Vorgestern erhielt ich einige fertige Figuren zu denen ich im Vorjahr die bezeichneten Stücke einsendete. Es täthe Noth über einzelne Figuren ein paar Seiten Erläuterungen zu schreiben damit die Figur nicht verpfuscht zum Vorschein kommt. Aus anderen Verlagswerken kann ich noch weniger brauchen als ich anfänglich dachte. So muß ich mich also noch recht in Geduld halten, einstweilen befriedigt daß das Ms. sich gut überfeilen läßt.

Wir haben jetzt hier herrliches Herbstwetter, köstliche Tage, die einen viel ins Freie locken. Ich wollte meine Frau könnte das mal genießen. Sie ist aber von ihrer Badereise eher geschwächt als gestärkt zurückgekehrt und macht mir Sorge. Den Kindern geht es gut, nachdem auch da manches fehlte. Herzliche Grüße von Haus zu Haus. Nächstens wird Fischer nach Jena kommen, wenn nicht wieder was dazwischen kommt. Ich will nicht abwarten bis der Grüße von mir bedarf, sondern sie Dir gleich direct senden.

Stets Dein aufrichtiger

CGegenbaur

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
07.10.1879
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10041
ID
10041