Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 1. Januar 1879

Heidelberg, 1. Jan. 1879.

Liebster Freund!

Es scheint mir ein guter Anfang des neuen Jahres zu sein daß meine erste Handlung, oder daß mein erster Federzug Dir gilt, nachdem die letzten Tage des alten Jahres mir vielerlei Abhaltung geboten hatten. So sollen denn diese Zeilen Dir recht herzhaft fröhliches Neujahr anwünschen, Dir wie den Deinen, und alles Gute und Schöne dazu.

Jene letzten Tage waren mir sehr wenig heiter, da mit dem Beginn des Weihnachtsfestes meine 3 Kinder der Reihe nach an heftiger Angina erkrankten, die bei diesen diphterit. Zeitläuften uns manche Aufregung bereitete. Ernstlich hatte sich auch meine Frau gelegt, die durch die Weihnachtsvorbereitungen ohnehin sehr angegriffen war. Heute ist nun alles glücklich vorüber und seit 14 Tagen zum erstenmale befindet sich die ganze Familie wieder auf den || Beinen.

Für Dein wohl gelungenes Bild meinen besten Dank. Es soll bald mein Zimmer zieren, in welchem, leider, beim Mangel an imponirenden Wandflächen nur ein bescheidener Winkel geboten werden a kann. Mit einem solchen müssen sich übrigens auch Cuvier und der alte Baer begnügen von Darwin nicht zu reden, der hinter der Gardine sitzt.

Dein Neffe hat sein Exemplar erhalten, ebenso Fürbringer, den wir jüngst zum Extraordinarius ernennen ließen. Ein viertes Exemplar harrt Deiner Verfügung, der ich nicht vorgreifen will.

Auch für Deine gesammelten Vorträge habe ich Dir noch nicht gedankt, und dem füge ich gleich noch Dank für die Orientirung bezüglich der Jen. Zeitschr. bei.

Der Schwein-Atavismus würde mich sehr interessieren. Ich habe nämlich bis jetzt noch keinen Fall kennengelernt der stichhaltig gewesen wäre, obschon ich gerade vor Kurzem seltene Fälle erhalten habe. Immer war es eine reine Duplicitas oblittera sog. überzählige Zehen, meist davon zwei. || Das wird immer verwechselt. Corpus oder Torsen können allein entscheiden. Um so begieriger wäre ich einmal einen ächten Fall von Atav. zu untersuchen. Dr. Gedon ist recht eifrig, und hat mir bis jetzt keine Schwierigkeiten gemacht. Ich denke daß es immer brauchbarer wird, was er arbeitet. Wenn ich es noch erlebe daß das Muskelsystem der Vertebraten. klar wird, soll es mich freuen. Es ist ein sehr interessantes Object.

Deine Mittheil. über Paris waren mir sehr interessant. Es scheint mir dort eine wiss. Krisis sich einzuleiten. Vom Cac. Orth. Archiv hast Du nichts gehört ob es fortleben wird. Ich habe hier seit 1 ½ Jahren nichts erhalten!

Unser alter Engelmann ist nun auch abgegangen. Es hat mir sehr leid gethan, habe ich doch fast ¼ Jahrhundert mit ihm verkehrt! An meinem Jahrbuch habe ich längst das Fehlen seiner Hand versäumt. Wie es nun werden wird, weiß ich nicht. Es ist jedenfalls ein Verlust || auch für die Wissenschaft. Denn man fand an ihm doch stets bereitwilliges Entgegenkommen, und ich kann sagen daß ich in der ganzen langen Zeit keine Schwierigkeiten mit ihm zu bestehen hatte.

Kannst Du Polycheten brauchen? Das Thier kommt auch hier vor, wie ich Dir längst zu sagen vergaß. Daß Davidoff bei Bütschli Assistent wurde habe ich Dir wohl schon geschrieben. Ich denke mir daß er auch auf B. Einfluß haben wird.

Nun zum Schlusse nochmals beste Wünsche für Dich wie für die Deinen und herzliche Grüße dazu. Im Uebrigen bleiben wir auch im neuen Jahre die besten Freunde.

Dieß wünscht

Dein treu ergebener

CG.

Grüße von Haus zu Haus sollen nicht vergessen sein.

a Übergeschr.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
01.01.1879
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10036
ID
10036