Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 30. November 1878

Heidelberg, 30 Nov. 78

Liebster Freund!

Es wäre etwas spät Dir jetzt noch zur glücklichen Heimkehr von der Reise Glück zu wünschen, aber dennoch knüpfen meine Gedanken an Deine Herbstreise an, denn ich habe mich oftmals in Gedanken zu Dir gesetzt, und war sehr erfreut als ich von Deinem Empfang in Paris durch die Zeitungen Kunde erhalten hatte. Mehr aber bin ich von der Nachricht befriedigt, daß Du Deinen eigentlichen Reiseabsichten so vorzüglich entsprochen sahest. So sinnst Du wohl jetzt ganz in Medusen, oder sie vielmehr in Dir, bis sie als gewaltiges Opus zur Welt kommen, die schaumgeborenen lieben Geschöpfe! – Ich habe die Ferienzeit, wie sich‘s geziemt, einfacher und bescheidener verlebt, zum großen Theile hier, unter trübem, regenschwangeren Himmel, auf meiner Anatomie mit Zeichnen und Arbeiten beschäftigt. Als der September sich günstiger anließ ging ich in die Schweiz, brachte herrliche Tage am Thuner See zu, und ging dann mit Fischer, der inzwischen nachgereist kam nach Interlaken. Eine Tour über Lauterbrunnen, die Wengernalp kleine Scheideck und Grindelwald gehört zu dem Schönsten was ich genossen, zumal sie an einem völlig klaren, wolkenlosen und windfreien Tage gemacht ward. Dabei habe ich auch gesehen daß mein Pedale doch noch etwas mehr zu leisten vermag, als || ich mir eigentlich zugetraut hatte. Es war ein ganz wunderbar schöner Tag, wie er weder vorher noch nachher in diesem Jahre im Berner Oberland sich traf. Ein Versuch später von Meiringen aus nach der großen Scheideck etc. zu gelangen scheiterte an der Ungemach des Wetters, das mich Ende September wieder nach Heidelberg trieb. Hier fand ich meine Frau in ziemlich leidendem Zustande, so daß ich sie im October, als es wieder bessere Tage gab, noch auf einige Wochen nach Weinheim an der Bergstraße brachte, wo sie in Ruhe und Abgeschiedenheit sich recht erholt hat, und mir für die etwas gewalttätig ins Werk gesetzte Badekur heute noch dankbar ist.

Das Wintersemester hat sich hier wie gewöhnlich durch Ebbe der Frequenz ausgezeichnet, doch sind dabei, wie sonst, fast nur die Juristen betheiligt, und ich für meine Person bin sogar recht zufrieden, und schulmeistere tüchtig im Praeparirsaal herum! Dabei komme ich freilich nur wenige Tagesstunden zur eigentlichen Arbeit, die erst am Abend ernstlicher in Action kommt. Ein kurzer Abriß der Ontogenie des Menschen, macht mir viel zu schaffen, trotz Kölliker‘s Buch! Aber es muß eben doch etwas Kurzes und leicht verständliches in mein Buch kommen, von dem ich immer noch nicht weiß, wann es fertig ist. Gerne möchte ich auch wegen der Wirbelsäule mich wehren, über die jetzt so viel dummes Zeug || in die Welt gelassen wird. Aber solche Dinge ziehen mich, fürchte ich, wieder zu sehr von meiner Aufgabe ab. Herr Ihering wird übrigens durch Fürbringer, später auch von Davidoff bedient werden. Letzterer wird zu Weihnachten bei Euch promoviren; er hat jetzt bei Bütschli eine Assistentenstelle angenommen.

Die Amsterdamer Stelle spukt auch wieder, Rosenberg hat abgelehnt, und ich bin zu neuen Vorschlägen aufgefordert. Ich habe Fürbringer und O. Hertwig in erster Reihe genannt. Ob letzterer darauf reflectirt weiß sich freilich nicht. Fürbringer zu verlieren wäre für mich recht hart, allein ich bin es dem Manne und der Sache schuldig! Uebrigens hat sich gleichzeitig eine Holländer Reaction geltend gemacht, die keinen Ausländer will. Wer siegen wird? Wer weiß das!

Aber sag mir doch wegen Paris, wer sind denn da Deine Verehrer? Es interessirte mich sehr die französischen Zustände nach der Seite der Entwickelungslehre kennen zu lernen. Wie verhält sich Lacage? Von seinem Archiv kommt seit Jahr und Tag nichts, ist es etwa eingeschlafen?

Das bringt mich auf die Jenenser Zeitschrift, von der ich noch 3 Bände zu zahlen haben. So viel sind‘s glaube ich. Bitte, theile mir einmal mit wie viel der Betrag ist, oder sage dem Verleger, daß er mir es schreibe. Ein Supplementheft, das II vom X. Bd. fehlt mir übrigens, auch Heft II vom Bd. X ist mir nicht zugegangen. Ich möchte außer Dir, keine anderen Gläubiger in Jena haben! ||

Bei uns wirbelt wieder die Prorector-Wahl vielen Staub auf! Jüngst waren sie wieder bei mir, um mich zur Uebernahme zu keilen. Ich wäre unpartheiisch, und deshalb der einzige geeignete, ich sagte seid‘s auch, dann braucht ihr mich nicht zu plagen. So habe ich‘s denn wieder kräftigst abgelehnt, und, hoffentlich, für immer. Mag mir deshalb mancher seine Freundschaft entziehen, sie war wenig werth, wenn sie sich auf jenes gründete! Das macht mir Heidelberg so lieb, daß ich hier völlig frei und unabhängig bin, meine Ruhe in der Arbeit genießend, und mich um nichts kümmernd was die Andern um mich herum treiben. So machst Du‘s ja auch in Jena, und schmiedest wohl sogar Pläne zur Gründung einer eigenen Burg!

Ich will hoffen daß es Dir und den Deinigen, Frau und Kindern, gut gehe, und so wollen wir denn getrost den Winter entgegen sehen, der uns bis jetzt nur neblige Tage brachte.

Vale ac fave!

Stets Dein aufrichtiger

CGegenbaur

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
30.11.1878
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10035
ID
10035