Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 21. Juli 1878

Heidelberg 21. Juli |1878

Liebster Freund!

So wären wir denn wieder dem Ende eines Semesters nahe gerückt, und es liegt wieder eine gute Reihe von Monaten zwischen heute und Deinem letzten, so erfreulichen Besuche, ja selbst seit meinem letzten Briefe an Dich ist viel Wasser den Neckar hinabgeflossen und ich habe mehrere liebe Briefe von Dir vor mir, welche Antwort erheischen. Nachdem die ersten Monate des Sommersemesters sich ziemlich regenicht angelassen hatten, ist doch hin und wieder eine günstigere Periode gewesen die den Genuß des herrlichen Landschaftsbildes unserer Umgebung reichlich gestattete. Auch ein größerer Ausflug nach Sesenheim ward mit Fischer ausgeführt, sowie eine Tour in die überrheinische Haardt. Wie unsere örtliche Lage da günstig ist, habe ich mit Befriedigung empfunden, und nicht weniger auch die Lage meines Hauses die mich in kurzen den Waldesschatten und die Bergeshöhen gewinnen läßt, und uns zumal in den letzten wärmeren, ja heißen Tagen, oftmals noch spät am Abend aufs Schloß führt, in dessen nachtdunkeln || Parkgängen neulich Massen von Vampyren herrlichen Spuk trieben. Das ist denn eine erfreuliche Erholung auf manche Arbeit des Tages, worunter selbstverständlich meine Anatomie der Wirbeltiere den Hauptantheil hat. Das Gros des Ms. ist jetzt wohl fertig, und ich beginne größere und kleinere Lücken auszufüllen, darunter freilich auch empfindliche. Da ich durchaus wünschen muß daß das Buch dem Mediziner brauchbar wird, und nicht nur so nebenbei etwa, oder gar nur für Dilettanten in Benützung kommen soll, ist die Arbeit keine geringe, und oft ist auch die Ueberlegung nicht sehr einfach, ob dieß oder jenes aufgenommen oder weggelassen werden soll, oder ob es nicht zu viel würde, dem Neuling, der meist gar keine Vorkenntniße hat, dahin oder dorthin gehende Beziehungen nachzuweisen. Ich versuche über solche Scrupel hinweg zu kommen, und will mich auch Zeit und Mühe nicht gereuen lassen. Daneben habe ich für die Sammlung zu sorgen, sowohl für die anthropotomische wie für die zootomische, da ich von beiden wenigstens für meine Vorlesungen wenig brauchen kann. Es ist ganz merkwürdig wie wenig methodisch diese Dinge behandelt werden. So besitzt die Anatomische Sammlung eine große Anzahl von Nervenpräparaten, von denen viele || eine riesige Arbeit absorbirt haben, aber kaum eines ist für den Unterricht brauchbar. Ich bin froh wenigstens das meiste jetzt beisammen zu haben, und hatte dabei gute Assistenz. So richte ich den immer tiefer mich hier ein, und bin zufrieden und glücklich in meiner Existenz, nur Dich vermissend mit dem eine so reiche Erinnerung mich längst innig verbunden hat. Unsere gemeinsamen Ausflüge und deren vielseitige Genüsse sind mir stets in lebhafter Vorstellung und bilden für meinen Jenenser Lebensabschnitt ein farbenreiches Gemälde an dem ich gar oft mich erfreue. Es ist das auch ein Erwerb den man sich auf die Lebensdauer gemacht hat.

In meiner Familie habe ich jetzt wieder bessere Zustände als vor Wochen. Erst war meine Frau leidend, indem wie im vorigen Sommer eine lange dauernde Unterleibsstörung sich eingestellt hatte. Es verlief alles zwar leichter als im Vorjahre allein ich war doch nicht ohne Sorge. Vor 14 Tagen erkrankte dann Emma an einem Rachenkatharrh mit Entzündung der Trommelhöhle, sehr ernst, und schwer. Gleichzeitig hat derselbe Prozess bei Liese in mehr abweichender Form sich eingestellt, und hatte Schwerhörigkeit auf beiden Ohren im Gefolge. Ersteres geht jetzt wieder viel besser so daß sie wieder ausgehen darf, das letztere wird wohl eine längere Belästigung werden. ||

So ist überall Sorge gewesen, und man freut sich mit geringer Beschädigung durchgekommen zu sein!

Deinen westwärts gerichteten Wanderabsichten wünsche ich besten Erfolg. Die Normandie ist ein prächtiges Stück Land. Die Küste kenne ich nur von Havre, resp. Trouville bis Feraux. Oestlich von Havre ist sie steilfelsig, großartig- Auf La Hève (bei Havre) mit dem weiten Blick über Meer, Havre und grünes Binnenland erinnere Dich meiner.

Was mich betrifft so werde ich Ende Augusts in die Alpen gehen, wohin, weiß ich selbst noch nicht.

Für Deine jüngste Zusendung habe besten Dank. Daß ich nicht mit Allem was Du schreibst einverstanden bin, kannst Du Dir denken. Es kommt ja auch nicht darauf an, und der Differenzirung muß ihr Recht bleiben. Das hindert mich nicht Dich lieb zu haben, und so sende ich Dir in dieser Gesinnung meine besten Grüße und herzlichen Wünsche für Dich und die Deinen. Gratulire auch zum Falkenorden!

In alter Freundschaft

Dein

CGegenbaur

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
21.07.1878
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10033
ID
10033