Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 7. Februar 1877

Heidelberg, 7. Febr. |77

Liebster Freund!

Für die Zusendung des Bandes mit Macalister danke ich Dir bestens, und hoffe Du werdest mir die Benützung noch einige Zeit gestatten. Da ich gerade mit anderen als Muskeln beschäftigt bin. Ich habe nämlich die Umarbeitung meines Grundrisses begonnen und denke bis zu Ostern damit fertig zu sein. Es soll mich freuen wenn ich manches besser getroffen habe als zuvor. An der Leichtigkeit des Arbeitens bemerke ich eine Aeußerung der behaglichen Existenz, die die gegenwärtige Häuslichkeit mir bietet. Hoffentlich überzeugest Du Dich zu Ostern selbst davon.

Meine Familie hat bis jetzt den überaus flauen Winter gut bestanden, und ich will nur wünschen daß auch || der Rest noch gut vorübergeht, und wünsche das gleiche für Dich und die Deinigen.

Wir haben inzwischen die Prorectorschlacht geschlagen, wo Dein Special als Candidat aufgetreten war! Seine Clique hat ihm auch eine Anzahl Stimmen zukommen lassen, war aber nicht ungehalten, als ein Durchfall erfolgte, und der Biedere mit einem Armesündergesicht von dannen zog. Ich habe mit Fischer gewettet daß er sich nächstes Jahr wieder melden wird!

Was sagst Du zu dem verrückten Semper? Es ist dringend zu wünschen daß Du Dich mit diesem armseligen Klopffechter nicht einlässest, jedenfalls seine Pamphlete nicht beantwortest. –

Kürzlich wandte sich Helm an mich, und bat sein hier zurückgelassenes Ms. und Praeparate aus, da er im Juni promoviren wolle, und eine Dissertation zu bearbeiten vorhabe. Ich möchte dagegen nur || bemerken, dass H. über die ersten Stadien der Untersuchung nicht hinaus kam, und ich kaum glaube, daß er noch weiß, um was es damals, als er hier arbeitete, sich eigentlich handelte. Mit meiner Anthropotomie ist es diesen Winter auch wieder ein gutes Stück vorwärts gegangen, und ich hoffe das Buch diesen Sommer fertig zu bringen. Die Unterbrechung durch den Grundriss war mir in dieser Hinsicht wenig angenehm. Aber an zwei Dingen zugleich zu arbeiten ist mir unmöglich.

Unsere sozialen Zustände scheinen sich immer mehr trüben. Es ist unglaublich wie die Rohheit hier überhand nimmt, und was für Gesindel sich herumtreibt. Ihr habt wohl von all‘ dem wenig zu bemerken. Das alles soll uns aber Heidelberg nicht verkümmern, und ich freue mich jetzt schon auf unseren herrlichen Frühling, zu dem Du freundlichst eingeladen bist. Allem Anschein nach wird er diesmal besser werden als im Vorjahre, und da wäre es ganz nett wenn wir zusammen etwas die Gegend durchstreiften, || die auch mir z. Th. noch unbekannt ist. Du sitzest wohl diesen Winter ebensoviel als ich, und wirst eine Erholung nötig haben.

Mit besten Grüßen von Haus zu Haus Dein aufrichtiger

CGegenbaur

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
07.02.1877
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10017
ID
10017