Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 31. Dezember 1876

Heidelberg, 31 Dec. 1876.

Liebster Freund!

So wären wir denn wieder vor einem Jahresschlusse angelangt, und ich überschaue mit gemischten Empfindungen, was das Ablaufende mir brachte, manche Sorge und Trauer durch den Tod meiner Schwester, aber auch Befriedigung darüber, daß die eigene Familie mich sorgenfrei ließ, und doch manches mit Mühe erstrebtes glücklich beendet ward. Möge das kommende Jahr uns nur Gutes bringen, dazu sende ich Dir meine besten Wünsche! –

Deine Winke bezüglich des Grundrisses waren mir recht willkommen, wenn ich auch nicht alle befolgen kann. Zunächst stehe ich noch in Verhandlung mit Engelmann, der von einer auch nur kurzen Verzögerung der || menschlichen Anatomie nichts hören will. Aber er sah mit mir eine Revision des Grundrisses so unerläßlich, daß Anderes dagegen zurücktreten muß. Auch muss ich daran denken, daß, bei einer jetzt nur in einigen 100 Ex. erfolgenden unveränderten Ausgabe, ich a in einigen Jahren wahrscheinlich eine größere Arbeit mit der Umarbeitung einer neuen Auflage haben würde, und damit wieder unliebsame Störung in anderen Arbeiten erhalte.

Weißt Du vielleicht noch von einem Buch über Muskelactivitäten, das Du noch in Jena mir einmal geben wolltest? Es war auf englisch, wenn ich nicht irre von Macalister? Ich könnte das Opus jetzt sehr gut brauchen, und vermag es nicht aufzutreiben, würde daher dankbar sein, wenn ich es erhalten könnte.

Was Du mir von Darwins Geburtstag schreibst, ist mir in vielen Punkten schleierhaft, || zumal jener Herr Redde mir gänzlich unbekannt ist. Sollte es sich um eine Prozession mit Fahnen und Wimpeln, Glocken und Schellen, handeln, voran die Schulkinder, hintendrein die alten Weiber, b so habe ich dergleichen in meiner Kinderzeit so oft mitmachen müssen, daß es mir in meinen alten Tagen davor schaudert, und ich vor allem, was nach dergleichen aussieht, eine heilige Scheu empfinde. Also werde ich nicht mit wallfahrten, und vorziehen, dem trefflichen Manne aus meinem Kämmerlein zu gratuliren.

Denkst Du denn nicht an die Möglichkeit, welcher Unfug mit dem Unternehmen passiren kann? Ein unbekannter, jedenfalls in Personalien urtheilsloser, nimmt Photographien an, von Crethi und Plethi! Sollten da nicht auch einmal ein paar Gegner auf den Gedanken kommen, beliebige Fotogramm, die überall käuflich sind, c pseudonym einzusenden? Kurz die Sache ist nicht nach meinem Geschmacke. Denke Du aber auch selbst an das Trau, schau, wem?||

Bei uns wird es für die nächste Zeit für die Philosophie tabula rasa geben, da Ribbeck, wenn nicht alles trügt, nach Leipzig gehen wird, Köchly gestorben, und der engl. Linguist nach München berufen ist! So was war sonst kaum wo da! Wir haben jetzt auch die Chirurgie wieder besetzt, da Czerny, den wir vorschlugen, endlich bestätigt wurde. Du hattest Dich früher einmal vorteilhaft über Czerny gegen mich geäußert, ich will hoffen daß der Mann gut einschlägt, wir haben das für die neuen großartigen Kliniken sehr nöthig. –

Fischer, mit dem ich die letzten Stunden dieses Jahres verbringen werde, läßt Dich grüßen. Daß Straßburger Dich nicht verläßt freut mich sehr. Grüße ihn von mir.

Und nun nochmals beste Wünsche zum neuen Jahre für Dich wie für Deine Familie, von mir wie von meiner Frau. Lebe wohl und bewahre auch im neuen Jahre die alte Freundschaft Deinem

aufrichtigen

CGegenbaur

a Eingefügt: ich; b davor gestr. nicht lesbares Wort; c gestr.: mit.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
31.12.1876
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10016
ID
10016