Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 25. November 1875

Heidelberg, 25. Nov 75

Liebster Freund!

Den Vorsatz, Dir einen langen Brief zu schreiben, hat bei dem Bestehen zahlreicher, mich von Morgens bis Nachts nicht zu ruhiger Sammlung gelangen lassender Dinge, keine frühere Ausführung finden können, und auch heute werde ich nur mit Unterbrechungen zum Ende dieser Zeilen kommen. Vor Allem mein Bedauern darüber, daß Dir mein Brief Aufregung bereitete, was er nicht sollte. Daher zunächst die Versicherung daß an der Solidarität unserer Wissenschaftlichen Strebungen a nichts geändert werden kann, und daß ich weit davon entfernt war, gar an eine ernstere Differenz zwischen uns beiden zu denken!

Dagegen kann ich begreiflicher Weise mit der Form der polemischen Vertretung dieser Strebungen und Ziele keineswegs einverstanden sein, und Du wirst auch für diese jenseits der Grenzen der Wissenschaft liegenden Anschauungen keine Solidarität von mir beanspruchen.

Was nun Deine letzte Brochüre betrifft so kann ich Dir offen und unumwunden || folgendes darüber schreiben, und muß das thun.

Die Polemik gegen His und Götte ist, einzelne überflüssige Extravaganzen (zb. Götte – Göthe!) abgerechnet, vortrefflich, ja glänzend und wie ich glaube völlig gelungen.

Dagegen finde ich den letzten Theil minder gelungen, ja sogar verfehlt! Zu was den Michelis hereinbringen, der gar kein Gegner sein kann, und von dem Du vorher sagtest Du müßtest ihn ignoriren. Zu was diese ausführlichen Auseinandersetzungen! Dann Vater Ludwig u. Leuckart, die beide sich in der letzten Zeit, wie ich glaube, gar nicht geregt haben. Zudem war es ein tactischer Fehler beide anzugreifen, die gegenwärtig miteinander verfeindet sind. Die herrschende Meinung über Ludwigs Bedeutung werden wir nicht ändern, und solange die Physiologie auf dem gegenwärtigen Boden steht ist nicht einmal Aussicht zu einer Aenderung. Also zu was jener Angriff, der nicht begründet ist, und Viele nur noch mehr gegen Dich aufbringt.

Endlich Agassiz, bei dem man vor Allem an das de mortuis nil nisi bene denkt! Beweise gegen ihn hast Du ja gar nicht gebracht. Wenn Du anführst daß er Vogt, davor, Valentin ausgenützt habe, || denn die Schriften dieser sind alle unter ihrem eigenen Namen erschienen, und wenn A. diese Arbeiten veranlaßte und edirte, so könnte man das doch auch als Verdienst Agassiz’s gelten lassen. Nach Deiner Darstellung möchte man glauben, als ob A. von den Leuten gar nichts erwähne. Ebensogut war auch Cuvier ein Schwindler, da die größere Hälfte der 9 Bände seiner Leçons von Duvernoy ist, und Duméril und Laurillard, von anderen zu schweigen, Mitarbeiter auch von Anderen waren. Eine Beweisführung zu Gunsten Deines Vorwurfs wird Dir sehr, sehr schwer sein.

Ich befürchte daß Deine Art von Polemik Dir, aber auch der Sache, sehr schaden wird, ich vermag dann, trotz so vieler gelungener Parthien in der Schrift, mich nicht darüber zu freuen, und bin recht betrübt, wenn ich sehe wie ein Werk an dem Du den besten Theil des Grundes gelegt hattest, wieder durch Dich gestört wird.

Als Mann der Entwickelung, mit der Einsicht in die Bedeutung des für die Phylogenie wichtigsten Factors, der Zeit, solltest Du am allerwenigsten für die Entwicklung der Wissenschaften Katastrophen herbeiwünschen, oder gar herbeiführen wollen. Eine solche vulkanische Katastrophe tobt in Deiner Schrift, die ich jetzt zweimal durchlesen habe. Es ist ein wahrhaft sarascenischer Fanatismus, || der Dich beim Schreiben erfüllt haben mag.

Doch das hilft jetzt nichts mehr, und wir müssen sehen, wie zu retten ist, was noch gerettet werden kann. Ich meine damit Jüngere, die abgeschreckt, in die Arme der Reaction getrieben wurden. Ich bin dabei kein Schwarzsher, wie Du wohl meinen magst, sondern urtheile aus Erfahrung, und glaube die Situation in wissenschaftlichen Kreisen hier besser zu übersehen als Du es in Jena vermagst. Da ich die Urtheile des Laienpublicums bei wissenschaftlichen Fragen nicht in Betracht ziehen kann, zumal b c jenes doch schließlich immer wieder von der jeweilig herrschenden wissenschaftlichen Anschauung beherrscht wird, ist mir die Wirkung auf die sogenannten Fachmänner, mögen es Zoologen oder Anatomen sein das Wichtigste, und da wird die Schrift nun zum Gegentheil wirken.

Nun habe ich Dir ein aufrichtiges Bekenntniß abgelegt, und ich habe nur noch zu bemerken daß ich in Beziehung auf das fatale Citat fürs zweckmäßigste halte ein Remedur durch eine Berichtigung im nächsten Hefte des Jahrbuchs eintreten zu lassen, denn wie ich auch Ag. für einen Gegner unserer Richtung halte, so kann ich mit dem, von Dir formulirten Urtheile über ihn doch nicht beistimmen. Das wird sich machen lassen ohne daß dem Publicum der geringste Grund an der Gemeinsamkeit unserer wissenschaftlichen Interessen zu zweifeln gegeben werden wird. Nun lebe wohl, sei über meine Offenheit nicht böse und sei überzeugt daß ich es stets mit Dir gut gemeint habe und meinen werde.

C.G.

Von Dr Zacharias erhielt ich kürzlich einen Brief, worin derselbe mich fragt welches die hervorragendsten Personen des Darwinismus in älterer Zeit in Jena gewesen seien. Ich weiß nicht recht wie ich die Frage verstehen soll, fürchte übrigens daß da auch etwas wenig opportunes explodiren könnte, und bitte Dich dringend umsichtig zu sein, auch mich aus dem Spiele zu lassen.

a Korr. aus: Ziele, b eingef.: zumal; c gestr.: da; d quer und über Kopf auf dem unteren Rand von S. 2 und 3.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
25.11.1875
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10007
ID
10007