Ernst Haeckel an Frida von Uslar-Gleichen, Jena, 7. Juli 1899

Jena 7/7 99

Liebe Freundin!

Auf die heftigen Stürme der beiden letzten Wochen ist nun endlich ziemliche Windstille gefolgt und ich beginne wieder mir das altgewohnte Lied von der „Entsagung“ zu predigen:

„Resignation, das herbste aller Worte,

„Eröffnet nur allein des Friedens Pforte“.

Wie danke ich Ihnen, meine theure Frida, für Ihre drei lieben letzten Briefe, in denen Sie in so guten edlen Worten micha an die nothwendige Selbstbeherrschung erinnern, und an die heiligen Pflichten, die wir unseren nächsten Lieben – trotz aller Hindernisse – immer schuldig bleiben. freilich fällt mir die Geduld oft recht schwer! ||

Meinen beiden armen Kranken geht es wieder etwas besser. Auch mein unruhiges Herz, das sich recht wild und aufsässig geberdete, beginnt wieder ruhiger zu schlagen. Zum Glück sorgt der schnelle Druck meiner „Welträthsel“, deren Correctur-Bogen mich fast den ganzen Tag beschäftigen, dafür, daß ich nicht zu sehr meinen melancholischen Betrachtungen über „Schicksal und Antheil“ nachhänge. Ich schicke Ihnen heute die 6 neuesten Correctur-Bogen (22.-27.), die Sie besonders interessiren dürften. Ich fürchte aber zugleich, daß Sie mit vielen Sätzen darin gar nicht einverstanden sind und besonders die schroffe Form mißbilligen werden, in der ich mich (leider) oft Saladin nähere. Bitte diese schlechten Sätze nun anzustreichen! ||

Wie warm und zart übrigens Saladin empfindet, können Sie auf S. 318-321 seines Buches lesen. Ich habe seit dem furchtbaren Schicksals-Schlage, der an meinem 30.sten Geburtstage mein junges rosiges Lebensglück zertrümmerte, oft ähnliche Stimmungen gehabt und mit Saladin gerufen: „Du verstehst Dich darauf die Erde zur Hölle zu machen, o Gott“!

Der alte Prometheus hat nun wieder einmal vergebens an den Ketten gerüttelt, die ihn an den kalten Felsen des Kaukasus schmieden! Kennen Sie das großartige Bild von Böcklin, in welchem der Lichtbringer langgestreckt die Höhen des Kaukasus bedeckt, selbst wie eine Gebirgsmauer? Mich hat diese gewaltige Composition immer besonders gepackt! ||

Für den Fall, daß Sie Zeit und Lust haben, die Correctur­Bogen zu lesen ( – am Bedenklichsten vielleicht Kapitel 17. u. 18! – ) würde ich für schonungslose Kritik sehr dankbar sein. Ich lege für diesen Fall ein Couvert für Rücksendung mit ein.

– Alles Andere ( – und wie Viel! – ) erspare ich mir auf unser Wiedersehen. Ich verbessere täglich den Stunden-Plan, den ich für diese kostbaren drei Festtage entworfen habe. Ich verspreche auch recht brav und artig zu sein, stets eingedenk Ihrer Worte, daß unser gemeinsamer Freundschafts­Weg uns nur zum Höchsten und Besten führen soll! Tausend Dank, meiner Freundin, für Ihre treuen, hochherzigen Worte! Hoffentlich kürzen Sie mir keine Stunde meiner drei Festtage!

Ihr treuer

E. H.

P. S. Meinen Brief vom 3. 7. haben Sie wohl erhalten? Verzeihen Sie das Ungestüm meiner Klagen!! 0 Temperament!b

a eingef.: mich; b Postscriptum vertikal am linken Rand von S. 1 nachgetragen

Brief Metadaten

ID
56973
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
07.07.1799
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Besitzende Institution
Staatsbibliothek Berlin PK
Signatur
NL Ernst Haeckel, Mp. 1, Bl. 29-30
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Uslar-Gleichen, Frida von; Jena; 07.07.1799; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_56973