Karl Haeckel an Sophie Marianne Wieck, Potsdam, 25. April 1887
Potsdam | 25 April 1887.
Liebe Frau Professorin!
Im Auftrage meiner Mutter beantworte ich Ihnen alsbald die freundlichen Zeilen vom 23sten dieses Monats, die sie gestern erhielt und durch welches sie recht erfreut wurde.
Es geht meiner lieben Alten so, wie es Einem in so hohem Alter – sie wird am 1 Juli 88 Jahre – ergehen kann. Geistig ist sie noch rege, interessiert sich für Politik und Theologie und liest noch täglich selbst ihre Zeitungen, wenn auch die Augen zeitweise versagen. Aber mit dem Körper, der recht zusammengesunken ist, geht es nur schwach. Sie wohnt über mir in meinem Hause und kam bis vorigen Herbst noch öfter zu mir und in meinen Garten herunter. Jetzt tragen sie die Beine nicht mehr herunter, oder || vielmehr nicht die Treppe wieder herauf und tragen will sie sich durchaus nicht lassen. Da können wir sie nur oben besuchen und sind dann auch alle 14 Tage des Sonntags noch zu Mittag bei ihr. Täglich aber wird sie auf kürzere oder längere Zeit, namentlich in den Abendstunden, von mir oder einem der Kinder besucht. Sehr erfreut ist sie, wenn mein Bruder aus Jena herkommt, was er doch immer 2-3 mal im Jahre thut.
Mein Haus ist trotz der 9 Kinder die ich großgezogen, allmählich ziemlich leer geworden. Meine ältere Tochter, die mir zusammen mit der zweiten, jetzt 26jährigen nach dem im Jahr 1877 erfolgten Tode meiner zweiten Frau die Wirthschaft führte, ist nach vierjähriger Ehe, in der sie freilich schon in den ersten Monaten länger krank wurde, im vorigen Herbst gestorben und hat ihrem Mann, der Oberlehrer an hiesiger Kadettenanstalt ist, zwei nette kleine || Mädel hinterlassen. Mein ältester Sohn, jetzt 34 Jahr ist seit 10 Jahren in einer Anstalt u. unheilbar. Mein zweiter ist Obergärtner in Privatstellung in Wannsee, zwischen hier u. Berlin; er ist verheirathet, hat bereits 3 Kinder u. es geht ihm gut. Einer ist Doktor und Assistent der chirurgischen Klinik in Jena, der folgende auch Gärtner u. jetzt Gehülfe in einer Baumschule in Celle bei Hannover; zwei haben Jura studirt u. liegen im Examen; der jüngste, das einzige lebende Kind meiner zweiten Frau, ist 10 Jahr alt u. eben nach Quinta gekommen. Dieser, die beiden Juristen u. meine zweite Tochter bilden zur Zeit meinen Hausstand. Ich bin nun 18 Jahre hier, fühle mich in meiner amtlichen Stellung wohl und kann über die Beschwerden des Alters, die sich freilich auch melden, noch nicht sehr klagen.
Ich erinnere mich noch gern der liebenswürdigen Aufnahme, die Sie mir im Sommer 1863 beim großen Leipziger Turnfeste zu Theil werden ließen. || Später, – es ist nun doch auch schon über 10 Jahre her – sah ich ihren jüngsten Sohn, den Pastor in Quetz, bei dem Merseburger Gymnasialjubiläum; er erinnerte mich in seinem Wesen recht an Ihren lieben Mann, der mir, ebenso wie Hiecke, immer noch recht lebendig u. in dankbarer Erinnerung vor der Seele steht. In späterem Alter lebt man doch am meisten in der Sorge für die Kinder u. in den Gedanken an deren Befinden. So freue ich mich, daß Sie meiner Mutter in dieser Hinsicht Befriedigendes von den Ihrigen berichten können. Komme ich einmal nach Leipzig oder Berka, so suche ich sie gewiß auf. Letzteres ist ja wohl auch ein kleiner Badeort? – Nach Jena führt mich schon eher der Weg, u. von da ist ja über Weimar nicht weit bis Berka. Meine Mutter läßt Sie, liebe Frau Professor, und Ihre Tochter recht, recht herzlich grüßen und für Ihren Brief danken; sie selbst kann nicht mehr schreiben; die Hände werden ihr zu sehr von der Gicht gequält.
Mit herzlichen Grüßen Ihr
treu ergebener Carl Haeckel, Landgerichts Rath.