Carl Gottlob Haeckel an Anna Sethe, Teplitz, 5. September 1859
Teplitz 5 September 59.
Liebe Anna!
Ich muß Dir doch vor unserer Abreise noch einmal schreiben, wie es uns geht. Lotte hatte doch vor etwa 14 Tagen wieder einen Krampfanfall wie in Berlin, der sie einige Tage zurücksetzte. Sodann bekam sie vorige Woche noch einen, wie sie ihn schon früher öfters gehabt, Würgen und Erbrechen und Leibweh, so daß sie zu Bett mußte, und alles angegriffen war. Seitdem hat sich nichts ereignet, sie hat fortgebadet und nun bereits über 30 Bäder. Morgen wird sie das letzte Duschbad (das 10te) und übermorgen Mittwoch das letzte gewöhnliche Bad nehmen, sodann soll sie sich noch ein Paar [Tage] ruhig verhalten und Sonnabend (den 10ten) wollen wir abreisen und Abends in Berlin angekommen. Lotte wird sich aber die ersten 4 Wochen sehr ruhig halten müßen, denn sie ist sehr angegriffen. Viel Unruhe würde die Nachwirkung der Kur stören. Wir haben nun das Unsrige gethan. Das übrige müßen wir Gott überlaßen. Durch das Unwohlsein von Lotte hatte mein hiesiger Aufenthalt etwas Gespanntes. Ich war nie ganz sicher. Lotte sehnt sich jetzt sehr nach Hause. Seit 5–6 Tagen haben wir naßes kühles Wetter. Sonst haben wir mit einigen Unterbrechungen große Hitze gehabt. Die Gegend ist sehr schön, wir sind fast täglich mit Frau Coquerill und Klärchen Freitag, die mir sehr wohl gefallen hat, zusammen gewesen, manchmal auch ausgefahren. Männlichen Umgang habe ich fast gar nicht gehabt. Die Oesterreicher sondern sich sehr ab und es ist nichts aus ihnen heraus zu kriegen. Sie sind gegen uns Preußen mistrauisch, ihre Regierung hat ihnen die Köpfe verwirrt. – Wir kehren nun sehr gern nach Hause zurück. Ich bin viel spatzieren gegangen, habe gelesen, mitunter geschlafen. Abends habe ich mit Lotte Walter Scott gelesen. An Ernst habe ich meinen letzten Brief vor etwa 6 Tagen abgeschickt nach Messina, wo er ihn treffen soll. Seine Kunstliebhaberei war auf der Insel Capri sehr stark wieder erwacht. Dabei mag es nun sein Bewenden haben. Jetzt soll er Sicilien bereisen, den Aetna besteigen und Palermo sehen und zum 1 October an seine Arbeiten in Messina gehen. Dort mag er bis in den Februar bleiben und dann direkt nach Hause zurückkehren. Ich will ihm wünschen, daß er in Messina noch starke wißenschaftliche Ausbeute macht, um sich schriftstellerisch bekannt machen und dann als Docent auftreten zu können. Es ist nun Zeit, daß er in einen festen Beruf tritt. Das wünscht besonders auch Lotte sehr. Wie Bertha schreibt, geht Martens als Naturforscher mit der Fregatte Thetis nach Japan. Das wird Ernst gewaltig im Kopfe herum gehen. Ernst mag aber bedenken, daß ihm die Reise nach Italien einen großen Genuß gewährt hat und für seine geistige und Charakterausbildung sehr heilsam gewesen ist. Das wird nicht vielen so zu Theil. Die Reise nach Algier hat er fast gänzlich aufgegeben. So wie die Welt jetzt eingerichtet ist, ist eine Reise außerhalb Europas gar nichts Außerordentliches und er kann sie vielleicht später noch einmal machen. Für jetzt mag era eine bestimmte Berufslaufbahn antreten. Die Künstler Neigung (zum Mahlen) spukte schon als Kind in ihm. Daß sie sich jetzt in Italien aufs Neue geregt hat, will ich nicht bedauern. Sie mag ihm als Erholung dienen, sie kann aber nie die Hauptsache bei ihm werden. Das darf er nie vergeßen. – Wie lange wirst Du denn in Westphalen bleiben wann denkst Du denn zurückzukommen nach Berlin? – Nach der heutigen Zeitung ist unser Wirth der Minister v. Massow gestorben. Grüße unsere Verwandten aufs herzlichste, ins besondere Hermine Berken. Wie geht es mit unserem Kohlenwerk, der Westphalia? Wir lesen heute in der Zeitung, daß ein anderes, die Zollern bei Dortmund, wahrscheinlich aufgegeben werden muß. A Dieu, liebe Anna, Dein Alter
Hkl
a eingef.: er