Bleek, Theodor

Theodor Bleek an Charlotte Haeckel, Bonn, 16. Oktober 1866

Bonn, d. 16 October 1866. Dienstag.

Liebe Tante Lotte!

Heute Morgen ist Ernst von hier abgereist, und hat uns gebeten, Euch dies mitzutheilen. Seine Pläne wurden leider in den lezten Tagen unangenehm durchkreuzt durch die Nachricht, daß der Quarantäne halber die regelmäßigen Dampfschiffe nicht in Madeira anlanden. Und andere Gelegenheiten, dorthin zu gelangen, wußte er hiera nicht auszumitteln, so daß er schon glaubte diese Reise ganz aufgeben u. anderswohin etwa nach Sicilien reisen zu müßen. Nach einer Besprechung mit seinem b Reisegefährten Dr. Greeff hier und einem andern, vielgereisten Gelehrten Dr Krohn, hat er sich nun entschloßen, zunächst nach London zu reisen (wohin er heute Morgen via Ostende gefahren ist und wo er Morgen Mittag eintreffen wird) und sich dort nach Reisegelegenheiten c umzusehen. Es wäre möglich, daß sie zunächst nach Gibraltar fahren werden und versuchen, von dort aus nach Madeira zu || gelangend. Ich glaube indeßen, daß sie auch in diesem Falle ebenso wie Hermann, vorher Quarantäne werden halten müßen, was ihn bei seiner, schon jetzt sehr beschränkten Zeit unangenehm sein wird. –

Mutter läßt Dir sagen, daß Ernst, der bei seiner Ankunft recht angegriffen gewesen, sich hier recht erholt habe; der hiesige Aufenthalt, namentlich auch der Verkehr mit manchem interessanten Mensch hat ihm recht wohlgethan. – Die Ungewißheit der Pläne in den lezten Tagen regte ihn zwar sehr auf, doch sagte er selbst, daß er, wenn er e in ruhige und geregelte Thätigkeit hineinkäme, er sich sicherlich auch wieder wohler fühlen würde. –

Ich bin gestern Abend hier angekommen um Ernst noch zu sehen; das war für mich ein recht wehmüthiges Wiedersehen; 4 Jahre lagen dazwischen, seit wir zuletzt zusammengewesen; was für ein Gegensatz damals und jetzt. – Meine liebe Tante, daß wir in der lezten schweren Zeit mit unserer innigsten Theilnahme Eurer gedacht haben und durch den harten Trauerfall, der Euch betroffen, selbst aufs || Schmerzlichste berührt worden sind, deßen brauche ich Dich wohl nicht besonders zu versichern. – Hoffentlich geht es Dir und dem lieben Onkel wenigstens körperlich wohl. Bitte grüße ihn herzlichst von mir, auch Tante Bertha und Tante Gertrud und verzeihe diesen sehr eiligen und confusen Brief, den ich, da die Zeit drängt, in großer Hast und in der Kinderstube geschrieben habe. –

Marie geht es unverändert; bis jetzt ist in ihrem Zustand noch wenig Beßerung eingetreten. Sie läßt Euch auch herzlichst grüßen. – Ich bin in treuer Liebe

Dein Neffe

Theodor.

a eingef.: hier; b gestr.: Dr.; c gestr.: zu; d gestr.: fahren; eingef.: gelangen; e gestr.: sich

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
16.10.1866
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 7035
ID
7035