Karl Snell, Anton Geuther und Ernst Haeckel an den Prorektor der Universität Jena, William Thierry Preyer, Jena, 20. November 1872

Magnifice Academiae Prorector!

Wenn wir, die Endesunterzeichneten, uns erlauben, dem Denominationsbericht der philosophischen Facultät ein Separatvotum beizufügen, so geschieht dies eines Theils, um unsererseits zu erklären, daß uns die Zuversicht, mit welcher die Majorität der Facultät von Herrn Heinze eine genügende Vertretung der Philosophie an unserer Universität erwartet, der hinreichenden Stützen zu ermangeln scheint, und wir diese Zuversicht nicht theilen können, und andern Theils, um das Augenmerk des illustren Senates und der hohen Regierungen auf einen Mann zu lenken, dessen schriftstellerische Leistungen und dessen akademische Lehrthätigkeit wohl berechtigen können zu der Hoffnung, daß derselbe die Philosophie in erfolgreicher und umfassender Weise an unserer Universität vertreten werde.

Die Denomination des Herrn Heinze gründet sich || ausschließlich auf dessen in diesem Jahre erschienene Schrift über die „Lehre vom Logos in der griechischen Philosophie“. Ueber die akademische Wirksamkeit des Herrn Heinze kann man natürlich noch gar nichts sagen, da derselbe erst vor vierzehn Tagen sich in Leipzig habilitirt hat. Indem wir das in dem Denominationsbericht über dieses Buch Ausgesagte zunächst auf sich beruhen lassen, wollen wir nur nicht unbemerkt lassen, daß dieses Buch ebenso sehr, wenn nicht noch mehr, dem Gebiete der philosophisch-historischen Kritik, als dem Gebiete der Philosophie angehört, indem die kritische Feststellung des thatsächlichen Inhaltes der Logoslehre in ihren verschiedenen Wandelungen ebenso sehr, ja noch weit mehr Zweck und Gegenstand der Untersuchung ist, als die Darlegung der philosophischen Tragweite und Bedeutung dieser Lehre, und die Angabe und Bezeichnung der Stufe des philosophischen Denkens, welche in der Logoslehre erstiegen ist. Das Verdienst der philosophisch-historischen Parthie des Buches erkennen wir sehr bereitwillig an, da ein Blick in dasselbe genügt, um sich zu überzeugen, wie sehr auf die bloße Feststellung des eigentlichen Inhaltes der Logoslehre noch einer solchen kritischen Sichtung und Abwägung der Ueberlieferungen bedurf-||te. Aber von der anderen Seite reicht auch ein Blick auf das Schlußwort der Schrift, in welchem der Verfasser in allgemeinen philosophischen Ansichten sich ergeht, hin, um die ernstlichsten Bedenken zu erwecken, ob der Verfasser jemals seinen allgemeinen philosophischen Ideen gründliche und einigermaßen in die Tiefe gehende Durcharbeitung hat angedeihen lassen.

Wenn wir nun auch zugeben, dass die genannte Schrift zu der Annahme berechtige Herr Heinze werde im Stande sein das Gesammtgebiet der Geschichte der Philosophie angemessen zu vertreten, so liegt doch zu der Annahme, daß derselbe auch die übrigen philosophischen Disciplinen, wenn auch nur zum Theil mit Glück und Erfolg in den Kreis seiner Lehrthätigkeit hineinziehen werde, nicht der geringste Grund vor. Weder eine philosophische Schrift noch eine vorangegangene akademische Wirksamkeit bietet dazu irgend einen Anhalt. Auch aus persönlicher Bekanntschaft kann ein solcher nicht entnommen sein, da Herr Heinze Keinem von den Mitgliedern der philosophischen Facultät persönlich bekannt ist.

Es ist uns nicht unbekannt, wie weit verbreitet die Meinung ist, daß unser Zeitalter keinen Beruf zu originalen philosophischen Produktionen habe, und || daß dasselbe bei richtiger Schätzung seiner Kräfte nur in der Bearbeitung der Geschichte der Philosophie seine Aufgabe zu erkennen habe. Auch bei den in der Facultät geflogenen Berathungen ist die Ansicht geltend gemacht worden, daß bei der Berufung zu einer philosophischen Professur vor allen Dingen auf die gute Vertretung der Geschichte der Philosophie zu sehen sei, und bei der Gewißheit über diesen Punkt man über das Uebrige wegsehen könne.

Gegenüber dieser weit verbreiteten Meinung und der letzt erwähnten Ansicht können wir nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß seit einigen Jahren eine große Regsamkeit auf philosophischem Gebiet, und zwar durch Hervortreten von durchaus neuen und originalen Ideen, sich bemerklich gemacht hat, und daß die Theilnahme des Publicums an denselben sich als eine sehr lebendige erwiesen hat, wie schon aus dem winzigen Factum ersichtlich ist, daß die Philosophie des Unbewußten von Hartmann in drei Jahren vier Auflagen erlebt hat. Wir wollen nicht läugnen, daß dieser neue philosophische Aufschwung zunächst hauptsächlich nur in den an die Naturwissenschaften anknüpfenden Ideen sich bemerklich gemacht hat, aber die Uebertragung und Geltendmachung derselben auf anderen || Wissensgebieten kann nicht ausbleiben, und ist zum Theil schon stark im Anzuge.

Bei so bewandten Umständen ist eine bedeutende und nachhaltige Wirksamkeit sicherlich nur von einem philosophischen Docenten zu erwarten, der inmitten dieser Ideenbewegung steht, und als thätiger Mitarbeiter in dieselbe eingreift. Einen solchen Mann glauben wir in Vorschlag bringen zu können in der Person des Herrn Dr. Eugen Dühring in Berlin. Derselbe ist seit acht Jahren Docent der Philosophie und Nationalökonomie an der Universität Berlin.Ueber den vielleicht gleich anfangs als bedenklich auffallenden Umstand, daß er nach achtjähriger akademischer Wirksamkeit noch keine Beförderung erhalten hat, werden wir weiter unten nähere Rechenschaft geben durch Anführung eines besonderen Umstandes und eines besonderen Vorfalls. Er ist ein sehr fruchtbarer Schriftsteller auf beiden Wissensgebieten für welche er sich habilitirt hat. Seine philosophischen Schriften sind folgende:

1. Natürliche Dialektik, oder auch neue logische Grundlegung der Wissenschaft und Philosophie.

2. Kritische Geschichte der Philosophie von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. ||

3. Der Werth des Lebens, eine philosophische Betrachtung.

Nur theilweis in das Gebiet der Philosophie einschlagend ist seine kritische Geschichte der allgemeinen Principien der Mechanik, eine von der philosophischen Facultät der Universität Göttingen mit dem ersten Preis der Beneke-Stiftung gekrönte Schrift.

Seine Schriften aus dem Gebiete der Nationalökonomie und der Socialwissenschaften sind folgende:

1. Kritische Geschichte der Nationalökonomie und des Socialismus.

2. Cursus der National- und Social-Oekonomie einschließlich der Hauptpunkte der Finanzpolitik.

3. Kritische Grundlegung der Volkswirthschaftslehre.

4. Capital und Arbeit, neue Antwort auf alte Fragen.

5. Carney’s Umwälzung der Volkswirthschaftslehre und der Socialwissenschaft. Zwölf Briefe.

6. Die Verkleinerer Carney‘s und die Krisis der Nationalökonomie. Sechzehn Briefe.

Den wissenschaftlichen Werth dieser sämmtlichen dem Gebiete der Nationalökonomie und der Socialwissenschaften angehörigen Schriften können wir, ab-||gesehen davon, daß uns kein Urtheil über dieselben zusteht, auch schon deswegen ganz auf sich beruhen lassen, weil derselbe mit den bei Besetzung einer philosophischen Professur ins Gewicht fallenden Fragen in keinem Zusammenhange steht. Nur die einzige Bemerkung wollen wir uns erlauben, daß diese Arbeiten des Herrn Dühring insofern mit seiner Philosophie zusammenzuhängen scheinen, als die Auffassung, die ihn leitet, und die ihn treibt, den naturalistischen Theorien der Socialwissenschaften die moralischen Gesichtspunkte als an erster Stelle maßgebend entgegenzusetzen, wohl nur aus seinen moralphilosophischen Ansichten hergeleitet werden kann.

Gegen die philosophischen Schriften des Herrn Dühring und seine Weise zu denken und zu schreiben ist in den Besprechungen der Facultät nur das Eine hervorgehoben worden, daß er über viele große Philosophen oder über einzelne Lehren derselben mit Härte und Schroffheit, und mit einer das Gefühl beleidigenden Geringschätzung urtheilt. Wir wollen die Thatsachen dieser Anstoß erregenden Art der Beurtheilung nicht bestreiten, geben aber zu bedenken, daß bei sehr vielen Denkern von originaler Schöpfungskraft diese Art der Polemik angetroffen || wird, und zwar um so entschiedener, je mehr dieselben von der Wahrheit ihrer Ideen eine lebhafte und feste Ueberzeugung haben. Man kann annehmen, daß diese Ausbrüche eines im Vollgefühl seiner Kraft ungeberdig auftretenden jugendlichen Uebermuthes vorübergehender Natur sind, da in den späteren Schriften des Herrn Dühring nichts davon bemerkt wird, und seine neuste Schrift gerade in dieser Beziehung ein besonderes Lob geerntet hat. Denn in der von der philosophischen Facultät in Göttingen ausgegangenen Beurtheilung seiner neusten Schrift heißt es: „den angenehmen Eindruck des ganzen vollendet eine sehr einfache aber an glücklichen Wendungen reiche Schreibart, die warme Anerkennung jedes Verdienstes, die erklärende Entschuldigung des Mißlungenen, und die vornehme Schonung, mit welcher über das Verkehrte hinweggegangen wird.“

Wir können hiernach wohl diesen einzigen Vorwurf, der gegen Herrn Dühring im Schooße der Facultät vorgebracht worden ist, als einen durch die in den neusten Schriften desselben herrschende Haltung gegenstandslos geworden betrachten.

Ueber die übrigen philosophischen Schriften des || Herrn Dühring sei es uns gestattet, noch ein Paar Worte hinzuzufügen. Die Schrift über Dialektik, welche zugleich als Grundlage zu den Vorlesungen über Logik dient, behandelt in zwei mehr als hundert eng gedruckten Seiten umfassenden Excursen das Identitätsprincip und den Satz vom zureichenden Grunde in so gründlicher und in allen möglichen Anwendungen und Bedeutungen dieser Principe eingehenden Weise, daß der Abstand dieser Auffassung von den mageren und dürftigen Auslassungen der gewöhnlichen Logik über diese Principe ein unermeßlicher ist. In dem folgenden Theile seines Buches stellt Herr Dühring als den eigentlichen und wahren Quellpunkt aller Dialektik die Unendlichkeitsbegriffe hin, und unterzieht dieselben einer ausführlichen Untersuchung. Man kann zugeben, daß dieses Buch nicht ganz frei von Wiederholungen, von Breite ist, und eine noch größere Durcharbeitung und Abrundung der Gedanken wünschen läßt. Aber daß der Verfasser seinen Ideen auf diesem Gebiet eine größere Klarheit und Vollendung gegeben hat, läßt sich daraus schließen, daß seine Vorlesungen über Logik beliebt und immer || stark besucht sind.

Das Buch über den Werth des Lebens hat zunächst den Zweck den Pessimismus Schopenhauers, und dann auch die in anderen Kreisen, besonders auch in den Socialwissenschaften hervorgetretenen pessimistischen Ansichten zu bekämpfen. Dieses Buch ist durch Klarheit der Ideen und der Darstellung ausgezeichnet. Man kann aus demselben einigermaßen die Richtung erkennen, in welcher die Ideen des Verfassers über praktische Philosophie sich bewegen. Er scheint Bedenken zu tragen, eine voreilige Vereinigung der theoretischen und praktischen Philosophie zu erzwingen. Er besteht darauf, dem Zeugniß der innern ethischen Erlebnisse und Erfahrungen ein ebenso großes Gewicht beizulegen als dem Zeugniß der Sinne und der rationalen Betrachtung der äußeren Erscheinungswelt, er giebt der Anerkennung zweier vorläufig unabhängig voneinander erfaßten Ausgangspunkte den Vorzug vor einer Vereinigung der theoretischen und praktischen Philosophie, bei welcher entweder die Thatsachen und Gesetze der äußeren Erscheinungswelt durch angebliche höhere Principien verunstaltet, oder die Thatsachen des || inneren Lebens durch Einordnung in den Naturlauf ihres besten Gehaltes entkleidet werden.

Zur Charakterisirung der neuesten umfangreichen Schrift des Herrn Dühring, die nur zum Theil in das Gebiet der Philosophie übergreift, der Geschichte der allgemeinen Principien der Mechanik, begnügen wir uns, aus der von der philosophischen Facultät in Göttingen gegebenen ausführlichen Beurtheilung folgenden Passus heraus zuheben: „Mit vollständigster und freister Beherrschung der Sache und erstaunlicher Ausdehnung genauster literarischer Kenntnisse, sind nicht nur alle wesentlichen Punkte erörtert, sondern eine große Anzahl kleinerer Discussionen, welche die Facultät nicht für unerläßlich gehalten hätte, aber mit Dank anerkennt, da sie überall dem volleren Verständniß des Gegenstandes dienen, bezeugen zugleich die große Liebe und Umsicht, mit welcher der Verfasser sich in seine Aufgabe vertieft hat. Dem außerordentlichen so aufgehäuften Stoffe entspricht die Fähigkeit zu seiner Bewältigung; durch feines Gefühl für klare Vertheilung der Massen ist es ihm gelungen, zugleich auf die ganze geistige Sig-||natur der Zeitalter, auf den wissenschaftlichen Charakter der leitenden Persönlichkeiten und auf die fortschreitende Entwickelung der einzelnen Principien und Lehrsätze ganz das belehrende geschichtliche Licht fallen zu lassen, welches die Facultät vor allem gewünscht hatte.“

Die von uns über die philosophischen Schriften des Herrn Dühring gegebenen dürftigen Mittheilungen, die aber bei der Eile, mit der trotz unseres Protestes die Denomination betrieben wurde, und bei dem Mangel an Zeit zur Orientirung nicht wohl anders ausfallen konnten, glaubten wir am besten ergänzen zu können, wenn wir uns um Auskunft über Herrn Dühring an einen Mann wendeten, der durch die Universalität seines Wissens in Stand gesetzt ist, allen verschiedenen philosophischen Bestrebungen unserer Zeit mit dem vollsten Verständniß zu folgen und ihnen gerecht zu werden, und der zugleich von allen philosophischen Denkern der Gegenwart hochgeachtet, verehrt und anerkannt ist; wir meinen den Professor Lotze in Göttingen. Auf die an denselben gerichtete Anfrage äußerte er sich über Herrn Dühring folgendermaßen: ||

„Ich halte den Dr. Dühring für eine der größten wissenschaftlichen Capacitäten, gar nicht bloß in Bezug auf die mathematisch-mechanischen Fragen (es war mir vielmehr ganz unerwartet, in ihm den Verfasser der glänzenden Preisschrift zu finden) sondern auch in philosophischen Dingen. Wenn Ihre Universität ihn gewinnen will, so ist sie ganz ohne Zweifel, was die wissenschaftliche Tüchtigkeit dieser Acquisition betrifft, lebhaft zu beneiden; und ich glaube nicht, daß irgendeine der jetzt zu habenden Kräfte sich entfernt ihm gleichstellen könnte. Was in Berlin Dühring’s Beförderung hindert, weiß ich nicht; was ihn in den Augen Vieler mißliebig gemacht hat, verstehe ich leider; es ist nicht zu leugnen, daß der maßvolle Ton, der seine Preisschrift so anziehend macht, in einigen früheren philosophischen Büchern nicht herrscht, und daß auch seine Geschichte der Philosophie arge Spuren der Selbstüberhebung trägt. Hat er dies definitiv von sich abgetan, so ist er mir um so achtungswerther; denn die Substanz seiner Kritik beanstandete ich nicht.

Im Uebrigen muß ich Ihnen bemerken; daß ich Dühring persönlich gar nicht kenne. Aber ab-||gesehen von allem Persönlichen, worüber ich nicht urtheilen kann, bleibe ich bei meiner Ueberzeugung: eine wissenschaftlich besser begründete und glänzendere Berufung als die Dühring’s können Sie gewiß nicht ersinnen.“

Fügen wir hinzu, dass die Vorlesungen des Herrn Dühring sehr besucht sind. In den streng philosophischen Vorlesungen hat er immer zwischen dreißig und fünfzig Zuhörer. Seine Vorlesungen über allgemeinverständliche Gegenstände gehören aber zu den besuchtesten welche überhaupt in Berlin gelesen werden. So z. B. hat er in dem verfloßenen Semester Vorlesungen gehalten über die Geschichtsauffassungen berühmter Historiker und großer Staatsmänner in dem größten Auditorium der Universität, welches 600 Zuhörer faßt. Und dieses Auditorium ist immer gefüllt gewesen.

Schließlich müssen wir noch eines Umstandes Erwähnung thun, der vielleicht bei Manchem ernstliche Bedenken erwecken kann. Herr Dühring ist nämlich seit seinem 16ten Lebensjahre erblindet. Sehen wir vorläufig von kleinen äußeren Mißständen, welche dadurch herbeigeführt werden || könnten, ab, so muß dieser Umstand zunächst beitragen unsere hohe Meinung von der geistigen Kraft des Mannes zu steigern, und insofern eher zu seinem Vortheil als zu seinem Nachtheil zu sprechen. Denn welches deutliche Bewußtsein vona seinem inneren Beruf zu einer wissenschaftlichen Laufbahn, welchen festen Glauben an denselben, muß derjenige gehabt haben, der durch ein solches Hinderniß von der Verfolgung dieser Bahn sich nicht abhalten ließ? Und wie sehr muß der Mangel des äußeren Sinnes durch einen inneren Sinn, durch Fassungskraft und Gedächtniß, ersetzt sein, wenn Jemand unter diesen Umständen nicht blos enorme Kenntnisse sich erwirbt, sondern auch mit größter Freiheit und Sicherheit über dieselben verfügt? Bei seinen Vorlesungen wird dies Gebrechen gar nicht bemerkt. Es ist uns von ehemaligen Zuhörern des Herrn Dühring gesagt worden, daß wenn er nicht auf das Katheder sich hinauf und von demselben herunter führen lasse, Niemand eine Ahnung davon haben werde, daß er blind sei. Außerdem ist er am Schreiben nicht gehindert.b Gewisse Geschäfte in der Facultät würde Herr Dühring allerdings nicht übernehmen können; aber wenn in Zukunft die beiden || im Statut vorgesehenen und vorgeschriebenen philosophischen Professoren wieder besetzt werden sollten, und wenn, wie wir als selbstverständlich annehmen, Herr Professor Fortlage in die Fakultät eintritt, so ist dafür gesorgt, daß von den beiden Collegen der eine ergänzend eintritt bei Geschäften, an deren Uebernahme der andere durch sein Gebrechen gehindert ist.

Vielleicht ist dieser Mangel des Gesichts ein Grund oder auch ein Vorwand gewesen, um Herrn Dühring bisher keine Beförderung zu Theil werden zu lassen. Es kann dazu auch noch ein anderer Vorfall beigetragen haben. Vor einigen Jahren wurde Herrn Dühring vom preußischen Staatsministerium aufgefordert, eine Denkschrift über die sociale Frage zu verfassen und einzureichen. Der Geheime Oberregierungsrath Wagener, der bekannte Kreuzzeitungsmann, hatte sich den ganzen wesentlichen Inhalt der Denkschrift angeeignet und für sein Eigenthum ausgegeben. Herr Dühring wußte diese Ehre, seine Ideen zu den eigenen des Staatsministeriums erhoben zu sehen, nicht gebührend zu würdigen, und belangte Herrn Wagener als Plagiator. Den Verlauf dieser || Sache findet man dargestellt in einer Broschüre Dühring’s unter dem Titel: Die Schicksale meiner socialen Denkschrift für das preußische Staatsministerium. Man kann begreifen, daß dieser Vorfall und die Veröffentlichung der Angelegenheit nicht gerade beigetragen hat den Herrn Dühring in der Gunst gewisser einflußreicher Kreise festzusetzen.

In Anbetracht alles dessen, was uns über die schriftstellerischen Leistungen und die akademische Lehrthätigkeit des Herrn Dühring bekannt geworden, insbesondere auch in Anbetracht, der warmen und nachdrücklichen Empfehlung einer so großen philosophischen Autorität, als Herr Professor Lotze ist, können wir nicht anders, als mit ganzer voller Ueberzeugung eintreten für die Berufung des Herrn Dühring, und wünschen, daß der illustre Senat durch seine Zustimmung unserer Ansicht das nöthige Gewicht und den gehörigen Nachdruck verleihen möge.

Jena den 20. November 1872.

Snell | A. Geuther | Haeckel

a gestr.: und welcher feste Glauben an; eingef.: von; b eingef.: Außerdem ist er am Schreiben nicht gehindert.

Brief Metadaten

ID
47831
Gattung
Brief ohne Umschlag
Institution an
Prorektor und Senat der Großherzoglichen und Herzoglichen Gesamt-Universität Jena
Entstehungsort
Zielort
Datierung
20.11.1872
Umfang Seiten
17
Umfang Blätter
9
Besitzende Institution
Universitätsarchiv Jena
Signatur
UAJ, BA 437,11r-19r
Zitiervorlage
Snell, Karl; Geuther, Anton; Haeckel, Ernst an Preyer, William Thierry; Jena; 20.11.1872; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_47831