Haeckel, Carl Gottlob

Carl Gottlob Haeckel an Johanna Regina Haeckel, Ehrenbreitstein, 6. November 1815

den 6 Novemb. 15

Liebste Mutter!

Ich schreibe diese Zeilen im Thal Ehrenbreitstein (einer kleinen Stadt) nieder, wo ich gestern angekommen bin. Dieses Städtchen liegt am rechten Rheinufer ganz dicht am Rhein. Gegenüber, etwa 600 Schritt liegt die Stadt Coblenz. Die Gegend soll eine der schönsten am Rhein sein. Ich kann Sie aber leider nicht sehen, weil alles in Nebel ist, es müsste sich denn heute noch aufklären. Ich bin in 10 Tagen von Compiegne (50 Stunden von Paris) bisher gegangen, also tüchtig marschiert. Von Rosoy aus, wo unsere letzten Cantonements waren und von wo aus ich Ihnen schrieb, ging ich nach Compiegne zum Fürst Blücher, den ich um Erlaubniß bat, nach Hause zu gehen. Ich erhielt sie und sogleich machte ich mich in Compiegne auf den Weg und ging über Rheims, Luxemburg, Trier hieher. Von hier aus werde ich wahrscheinlich über Cassel, Halberstadt, Magdeburg nach Berlin gehen und dort so lange bleiben, bis ich weis, woran ich meiner künftigen Anstellung bin. Den Christian nehme ich mit bis Berlin und schicke ihn sodann mit den || Pferden nach Hause. Die Pferde werde ich bis auf Eins in Berlin zu verkaufen suchen.

– Es ist höchst angenehm zu sehen, sobald man Luxemburg paßirt hat, daß man unter Deutschen ist. Der Bauer auf dem linken Rheinufer hat von seinem Deutschen Charakter wenig verloren; daß er noch kein besonderes Intereße für den preußischen Staat hat, ist natürlich. Dies kann sich erst durch lange Jahre erzeugen. Aber er fühlt sich noch ganz deutsch im Gegensatz gegen den Franzosen und haßt diesen. Das ist für jetzt hinreichend. Die höheren Stände sind durch die Franzosen bei weitem mehr verdorben. Dort findet man besonders unter den jungen Leuten, die während der französischen Occupation gebohren und erzogen sind, viel französisches Wesen. Das muß die Zeit wieder abstreifen.

– Die guten Quartiere haben ziemlich ein Ende, wenn man Frankreich verläßt. Die Deutschen haben viele Lasten durch den Krieg, drum geben sie uns nur das Nothdürftigste und man hat, sobald man das Deutsche betritt, mehr Ausgaben. Die Fran-||zosen mußten und zwar in reichlichem Maße uns alles reichen, was wir zur Lebens Nahrung bedurften. Sobald ich nach Potsdam und Berlin komme, werde ich mich abwechselnd an diesen beiden Orten aufhalten, jenachdem es meine Angelegenheiten mit sich bringen. Vergeßen Sie aber ja den Creditbrief nicht, liebste Mutter, denn Geld brauche ich. Sobald ich an Ort und Stelle bin, werde ich meine Schuldner schon angehen. Ich hoffe die Weihnachtsfeiertage bei Ihnen zu verleben und einige Zeit bei Ihnen zu bleiben, ehe ich wieder an die Arbeit gehe. Schreiben Sie mir gewiß und adreßiren Sie Brief und die nöthigen Sachen an Redtel nach Potsdam, wo ich in den letzten Tagen dieses Monats einzutreffen gedenke.

– Wegen Vetter Anders Forderung an den französischen General habe ich nochmals Erkundigungen eingezogen. Es ist aber nichts zu machen, wie ich Ihnen mündlich auseinandersetzen werde. Grüßen Sie alle Freunde herzlich und denken Sie an ihren

Carl.

Von Potsdam aus denke ich Ihnen den nächsten Brief zu schreiben.

 

Letter metadata

Datierung
06.11.1815
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 44382
ID
44382