Haeckel, Carl Gottlob

Carl Gottlob Haeckel an Johanna Regina Haeckel, Potsdam, 17. Februar 1834

Potsdam 17 Febr. 34.

Liebste Mutter!

Der neue Weltbürger ist nun angekommen, gestern Abend (Sonntag) halb 11 Uhr ist Lotte von einem gesunden, tüchtigen Knaben entbunden worden. Ich hatte ihr zwar ein Mädchen gewünscht und sie selbst wünschte eins; allein wir waren schon darin einig, daß uns jedes Geschenk vom lieben Gott willkommen sein solle und mir ins besondere ist ein Knabe sehr lieb. Nun habe ich 2 Jungen. Gott gebe seinen Seegen, daß sie gedeihen! Dann können sie der Mutter auf ihre alten Tage noch recht Freude machen, wenn sie tüchtige Menschen werden und dereinst ihre Stütze sein. Ich werde dies wohl nicht erleben, da ich in Jahren zu weit vorgerückt bin. Indeß schenkt mir vielleicht Gott noch so viel Zeit, daß ich sie im Wesentlichen erziehen kann. An Carl hat die Natur nichts vernachläßigt, er ist wißbegierig, lernt gut und wird, wie es scheint, einmal brauchbar werden, wenn er so fortfährt. Wir müßen nun erwarten was Gott in diesen neuen Ankömmling gelegt hat. Lotte war 10–12 Tage krank, sie mochte sich erkältet haben und der Magen verträgt in solchen Umständen nicht viel. Sie hatte sich aber in den letzten Tagen sehr gebeßert und war gestern während der ganzen Wehen sehr kräftig. Früh gegen 11 Uhr begannen sie allmählich und wuchsen so fort, bis Abends nach ¼ auf 11 Uhr der Kleine da war. Der Doktor Canisius und seine Frau waren zugegen und auch ich half Lotten halten, damit sie während der Wehen Unterstützung hatte. Die Geheimräthin Jacobi blieb in der Vorderstube bei Marie, die am Donnerstag ankam, wo sie zu Bertha nach Berlin reiste. Lotte hat es sehr gut überstanden. Wir müßen sie aber sehr hüthen, daß sie ruhig bleibt, weil sie munter ist. Es ist doch gut wenn man theilnehmende und helfende Freunde in solcher Noth hat. Der Ober Präsident nebst Familie nimmt auch viel Theil, sie sind in Berlin zum Landtag. Ich habe es ihnen heute gemeldet. – Der Kleine hat heute früh gleich die Brust genommen und tüchtig getrunken. Es ist ein tüchtiges, vollkommenes Kind. Gott gebe sein Gedeihen. – Wenn doch mein lieber Vater das sehen könnte; wer weiß, ob und auf welche Art er Freude erhält! Er hat nun 2 Enkel und es scheint nun, daß die Familie nicht aussterben soll! || Was würde auch Milchen sagen, wenn sie’s wüßte! Doch alle die abgeschiedenen Lieben sind da oben gut aufgehoben. Vor einigen Tagen hatten wir großen Schmerz durch die Nachricht von dem Tod unseres lieben Schleiermacher! Wie oft hat er nicht durch seine Predigten erbaut, ich habe ihn sehr oft gehört und wenn wir Sonntags in Berlin waren, haben wir ihn selten versäumt; dabei war er ein herrlicher Mensch von vortrefflichem Gemüth! Der wird mir sehr fehlen! Er gehörte zu meinen Herrlichkeiten, die ich in Berlin besaß und die mich dahin zogen. Sein Tod hat aber auch allgemeine Theilnahme erweckt! Lotten geht es eben so. Sie grüßt Sie Tausend Mahl! Und ob ihr gleich kein Töchterchen geworden, so ist sie doch über den Besitz des tüchtigen Jungens sehr glücklich. Gestern Abend um 9 Uhr kam die Frau aus Berlin an, die sie warten und pflegen soll. Sie hat früher im Setheschen Hause gedient und Lotte kennt sie genau. Das ist ihr sehr lieb. Ich glaube nicht, daß wir die Jette werden behalten können, sie ist gar zu albern und unanständig, obgleich willig. Wir wollen nun sehen, wie sie sich beim Kinde machen wird. Wenn wir nur erst noch einige Wochen hinter uns hätten, damit Lotte wieder auf den Beinen wäre.

– Es ist in den letzten Wochen hart hergegangen. Ich hatte viele und sehr unangenehme Geschäfte, die noch nicht ganz beendigt sind, aber das Schlimmste ist vorüber. Der Magistrat in Berlin hatte Händel mit dem Ober Bürgermeister von Bärensprung, ein alter Freund von mir, den Sie in Berlin gesehen haben. Er wird mit 3000 rℓ jährlich Pension ausscheiden, da die Stadtverordneten die Sache arrangirt haben. So mitten in dringenden Geschäften erwartete ich täglich Lottens Niederkunft, da kam ihr Unwohlsein, was mir bange machte, dann Schleiermachers Tod, dabei täglich Berichte über die Berliner Unannehmlichkeiten, das griff innerlich an, nun wird wohl der Sturm meist vorüber sein. Ich denke jetzt oft so im Stillen, was aus meinen beiden Jungens werden || wird, wenn sie Gott erhält. Eifer und Trieb hat mir zwar Gott gegeben und ich laße es mir angelegen sein, nach meinen geringen Kräften für das öffentliche Wohl zu nützen. Aber mir fehlt doch so manches, was ich wünschte, das Gott den beiden Jungen verliehen haben möchte. Könnten Sie einmal mehr wirken für die Welt als ich, so sollte das meine größte Freude sein. Denn das ist doch die höchste Wonne für uns Männer, wenn wir das Bewußtsein haben, etwas Tüchtiges vollbracht zu haben! Was ist das für ein Leben gewesen, was der Schleiermacher gelebt hat, Tausende hat er erleuchtet und erbaut, durch die Klarheit seines Geistes hat er Unzähligen vorgeleuchtet. Was ist das aber auch für ein Begräbniß gewesen, 20–30000 Menschen auf den Beinen, nicht aus Neugier sondern aus Theilnahme, wahrer inniger Theilnahme, sie fühlten alle, daß sie etwas verloren hatten! Sehn Sie, liebste Mutter, solche Menschen erhalten in uns den Glauben an die höheren menschlichen Kräfte, aller äußere Tand und Quark ist dagegen nichts als Lumperei, zwar will der Mensch sein tägliches Brot eßen und nicht darben, das ist billig und dafür mag auch ein jeder sorgen, aber Schätze häufen, das ist Thorheit, wenn es mehr sein soll, als für die Seinigen sorgen! Schleiermacher hatte eine sehr gute Einnahme, aber er wird wenig hinterlaßen, er war sehr freigebig; nun die Menschen, denen er so viel genützt, würden wohl für die Seinigen sorgen helfen. Die Tochter, die mit auf der Bleiche war, leidet jetzt viel an Magenkrampf. Der Verstorbene litt auch daran. –

Es würde mir und Lotten eine große Freude gewesen sein, Sie hier bei mir Pate stehen zu sehen. Wenn Ihnen aber die Reise bei vorgerücktem Alter zu schwer würde, so will ich nicht in Sie drängen, || sondern Ihnen den weiteren Entschluß ganz überlaßen. Ich denke doch, wenn uns Gott leben läßt, Sie auf dem Sommer einige Wochen auf der Bleiche zu sehen und mit den Meinigen zu Ihnen zu kommen. Nun kann ich doch sagen, daß ich eine Familie habe; aber das ist doch ein Schatz, und mein herrliches Weib, so fromm und brav und immer die Tugend und das Beßere vor Augen habend. Mich hat zwar manches Unglück betroffen, doch kann ich aber Gott nicht genug danken für alles, was er mir beschert hat. Auch mit meiner Gesundheit macht es sich, seit Weihnachten fühle ich mich geistig und körperlich sehr gestärkt und Carlsbad, so sehr es mich angegriffen, scheint doch gut gewirkt zu haben, nur das Gedächtniß hat ein wenig gelitten! – Freilich muß ich sehr regulair leben und muß auch sehr aufmerksam sein. Wenn man indeß nur weiß, wie man leben muß, so ist es schon gut.

Nun muß ich schließen. Sie werden mit der Fahrpost noch Karten erhalten, wo ich die Entbindung von Lotten anzeige, für einige Freunde. Leben Sie wohl und gesund und denken Sie recht fleißig meiner und der Meinigen.

Ihr

Carl.

 

Letter metadata

Datierung
17.02.1834
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 44310
ID
44310