Meyer, Hans

Hans Meyer an Elisabeth Meyer, geb. Haeckel, Jena, 10. August 1919

Jena 10/8. 19.

Meine liebe gute Liese,

Soeben habe ich Dir ein Wort des Trostes telegraphiert. Du hast den besten der Väter verloren, und was er Dir und Du ihm gewesen bist, weiss Niemand besser als ich. Das Wort „meine Liese“ hat er immer mit besonders zärtlichem Ausdruck gesprochen; keins seiner Kinder ist ja auch so „haeckelisch“ wie Du und auf keins war er so stolz wie auf Dich. Nun haben sich die lieben grauen Augen für immer geschlossen, ihm zur wahren Erlösung von körperlichen und seelischen Schmerzen und Lasten. Und das kann uns und besonders Dir zur Beruhigung dienen, so schwer uns auch sein Tod trifft.

Als ich gestern Abend aus Tabarz eintraf, waren Walther und Konrad Huschke (als Emmas Vormund) mit allerlei geschäftlichen Dingen befasst. Zu dritt haben wir dann den Verlauf der Bestattung und aller Zugehörigkeiten festgesetzt und uns dann || über Vaters letzte Tage unda Stunden unterhalten. Das Entscheidende für den schnellen Tod war ein neuer Sturz vom 5. August, wo er den linken Oberarm gebrochen hat und nun zum Bettliegen gezwungen war. Das letztere hat, wie meist bei sehr alten Leuten, eine Lungenentzündung verursacht, die mit einem Herzschlag geendet hat. Walther war noch um Mitternacht bei ihm, und als er um 5 Uhr früh wieder nach Vater sah, lag dieser scheinbar ruhig schlafend, aber tot da. Keine Spur von einem Endkampf; sondern ganz still ist die Flamme verloschen. Auch jetzt am Sonntag Mittag sind kaum noch Veränderungen im Gesicht zu bemerken. Der Mund ist leicht geöffnet wie beim Schlafenden, die Schläfen und Wangen nur wenig eingefallen.

So hat ihn der Maler Haack auf dem Totenbett gemalt und der Künstler (Name?), der auch Rössle und Else porträtiert hat, in Kreidezeichnung mehrfach festgehalten, wovon eine ganz vorzüglich ausgefallen ist. Eine Totenmaske ist schon gestern nachmittag abgeformt worden, so dass nun auch der tote Haeckel || der Nachwelt überliefert sein wird, die sich mit dem lebendigen so viel beschäftigt hat.

Zur Bestattung im Krematorium wird ausser Walther, Hans, Konrad Huschke noch Julius und Heinrich erwartet, vielleicht auch Reimer. Die Stadt wird durch den Oberbürgermeister, die Universität durch den Rektor vertreten sein, und sonst noch werden einige Freunde teilnehmen, aber die Feier wird sich im engsten Kreis abspielen, und alle grösseren Veranstaltungen werden einer akademischen Feier nach den Ferien vorbehalten, woran dann natürlich auch Du und die Kinder teilnehmen werdet.

Am Mittwoch reise ich nach Tabarz zurück, während Walther noch einige Zeit hier bleibt, um aufzuräumen. Die 3 Tage hier benutze ich, um mit Walther alle Papiere und sonstigen Hinterlassenschaften durchzusehen und über ihren Erbanfall oder über den Verbleib im „Haeckelmuseum“ zu bestimmen. Über die Möbel, Wäsche, Hausgeräth etc. hast Du Dich wohl schon mit Walther geeinigt; wenn nicht, kann dies bald nach Deiner Heimkehr hier in Jena geschehen. Die Testamentseröffnung wird wohl übermorgen in Julius Anwesenheit || vorgenommen werden. Etwas Neues wird es kaum enthalten, aber Überraschungen sind ja bei Vaters schwankender Art in dieser Hinsicht nicht ausgeschlossen. Ich werde Dir alsbald nach Bekanntgabe darüber berichten.

Einstweilen bleibt das Haus noch im Betrieb und die beiden Mädchen noch darin bis 1. Oktober. Dann geht es an die Zeissstiftung resp. an die Universität über, von der ein Hausmann eingesetzt wird, der unten die Kammer am Eingang, daneben Mutters „Salon“ und die Küche bekommt. Das ganze übrige Haus ausser der Fremdenstube oben, das als Absteigequartier für Walther oder uns vorbehalten ist, wird Museum. Dafür entwerfen jetzt Walther und Prof. Schmidt die Einrichtungspläne. –

Das ist das Wichtigste, was ich Dir mitzuteilen habe. Nach der Einäscherung werde ich weiter von hier oder von Tabarz aus berichten. Den Hauptbericht will Dir dann aber Walther geben, der jetzt nicht zum Schreiben kommt. Er hat alle Hände voll zu tun. Von 100 verschiedenen Seiten werden Fragen gestellt; die Blätter sind voll von Haeckelbiographieen, von denen ich Dir die besten schicken werde; der Tisch liegt voll von Beileidsbriefen und -telegrammen, und so gibts zu ordnen und zu antworten auf Tage hinaus. Für heute sei es genug mit Briefschreiben. Hoffentlich finde ich bei der Rückkehr nach Tabarz endlich Briefe von Dir und den Kindern vor, die von Lottes Geburtstag und von Euern weitern Erlebnissen und Plänen berichten. Lebt recht wohl und seid herzlich gegrüsst und geküsst von Deinem treuen

Hans.b

a eingef.: Tage und; b am Kopf und linken Rand von S. 4: finde ich … treuen Hans.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
10.08.1919
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Privatbesitz
ID
39860