Charlotte Haeckel an Agnes Haeckel, Potsdam, 5. Mai 1879
Potsdam 5/5 79.
Liebe Agnes!
Herzlich danke ich Dir für Deinen lieben Brief, der mir große Freude gemacht; da ich Gutes von Euch hörte. Meine Sehnsucht von meinen entfernten Liebena zu hören, ist sehr groß, und ich verlange sehnlich Dich und die Kinder mal wiederzusehn. Wie und wann dies geschehen kann, das müßt Ihr bestimmen, mir seid Ihr immer willkommen. Du schreibst, ob ich nicht besser thäte nach Jena zu kommen; und ich bin auch überzeugt, || daß Ernst es gerne sehn würde; aber was einmal nicht geht, darin muß man sich in Geduld finden, und kann nicht erzwingen, was nicht geht; bei meiner letzten Abreise von Jena ist es mir zu klar geworden, daß ich es nicht wieder unternehmen darf. Ich mußb wohl dankbar dafür sein, wie es mir in dem hohen Alter ergeht; und daß ich nicht so krank, wie vor einem Jahr bin, aber die Kräfte wollen immer nicht reichen. ||
Nun schreibst Du: Ihr würdet nur 6 bis 8 Tage hier sein können, das ist allerdings, sehr kurz, da würden die Kinder ja kaum sich gewöhnen und ich möchte doch, daß Du auch Deines Mannes Vaterstadt kennen lerntest, die wirklich manche Naturschönheit bietet. Da sind 6 Tage sehr wenig, und nun darf nur noch schlechtest [!] Wetter dazu kommen, so hast Du nur Unruhe von der Reise gehabt und kein Genuß. Könnt Ihr dann nicht auf längere Zeit im Sommer kommen? Aber kommen || müßt Ihr; meine Zeit ist gemessen; da darf man nichts verschieben; die Kinder werden mir ja ganz fremd, und doch denk ich Ihrer so viel mit sorgender Liebe; und bin Dir auch so dankbar, wenn Du mir zuweilen berichtest, wie sie sich entwickeln. Von Ernst kann ich es ja nicht verlangen, der hat ja zu viel andere Schreiberei, und dann sieht doch eine Mutter mehr was mit den Kindern vor geht. – Sobald Ihr einen festen Entschluß gefaßt habt über Euere || Reise gefaßt habt, bitte dann schreibe es mir, wann ich Euch erwartten kann.
Bei Karl ist jetzt alles wohl.
Grüsse mir meinen lieben Ernst recht herzlich, auch Heinnrich und die Kinder. Heinnrich soll nur Geduld haben bei seinen militärischen Uebungen, die Zeit geht ja schnell vorüber, und Geduld wird er auch später als Doctor brauchen. Daß es Deiner lieben Mutter besser geht, freut mich, empfiehl mich ihr beßten, wie || auch Frau G. Schulz, der ich von Herzen baldige Besserung wünsche. Daß Ihr durch den Tod Eueren Arzt verlohren habt, thut mir leid, er war so nett mit den Kindern.
c Fußdecke und Doppelfenster habe ich schon vor mehrern Tagen ausnehmen lassen. Hoffentlich wird es nun auch besseres Wetter, der Mai fängt ja gut an, da werdet Ihr auch wohl spazieren gehn können.
Nun gute Nacht, liebe Agnes, behalte lieb Deine alte Mutter
Lotte Häckel
a eingef.: Lieben; b eingef.: muß; c gestr.: St