Charlotte Haeckel an Agnes Haeckel, Potsdam, 14. März 1873
Potsdam 14/3 73.
Liebe Agnes!
Herzlich danke ich Dir für Deinen Brief und die Uebersendung des Reiseberichts. Wie dankbar bin ich, daß es unserem lieben Ernst bis jetzt nach Wunsch gegangen ist. Gott gebe ferner ihm alles Gute; daß ihn die Reise recht erfrischen möge, und er wieder gestärkt und wohlgemuth zurückkehre und dann in seinem Hause wieder volle Genüge und Behagen finde, daß er sich dankbar über Frau und Kinder freuen könne. ||
Recht sehr freue ich mich, daß Du mit der vorschreitenden Genesung der Kinder zufrieden bist; aber noch viel mehr über Deine Versicherung, daß sie jetzt folgsam wären; denn das geistige Wohl der Kinder liegt mir noch mehr am Herzen als ihr körperliches und ich kann nicht läuchnen, daß ich oft mit rechter Wehmuth daran gedacht, wie viel schwerere Lebenserfahrungen die geliebten Kinder noch machen müßten, wenn nicht in der Jugend der wilde Sinn gebändigt wird. ||
Wer seine Kinder lieb hat, der züchtigt sie, und so hoffe ich auch, meine liebe Agnes, Du wirst mit aller Geduld darauf halten, daß die Kinder Dir folgen; wir Mütter haben in dieser Beziehung eine große Verantworttung, denn die strenge Zucht ist unsere Pflicht, der Vater kann zu wenig die Kinder lenken und beobachten, sein Beruf läßt ihm wenig Zeit mit den Kindern zu sein; und wenn es auch manichmal den Müttern schwer wird, so ist es doch auch was köstliches, so mit den Kindern ein inniges Seelenleben zu führen. Gebe Gott daß Dir das gelingt, und Du recht mit Deinen Kindern im Gemüth zusammen wächst. – ||
Daß Deine liebe Mutter wieder hergestellt ist, und Dich hat besuchen können, freut mich; grüsse sie herzlich von mir; wohl wird sie jetzt bewegte Tage durchleben. Gott gebe ihr die Freude den geliebten Sohn in eine glückliche Häuslichkeit zu sehen. Deine Schwester Clara bedauere ich recht, daß sie heute zu ihrer Reise solch schlechtes Wetter hat, wenn es bei Euch nicht besser ist als hier. Wann ist denn die Hochtzeit? − − −
Gestern war ein schöner Tag, da holten Karl und Clara mich ab, sie wollten durchaus mich in die Luft bringen. ||
Wird Lisbethchen noch nicht bald an die Luft dürfen? Ich hoffe ich höre bald, daß Du mit beiden Kindern ins Freie kannst, das wird Euch 3 Lieben wohl thun. Ach wenn Du mir nur auch bald sagen könntest, daß es Dir besser wäre, daß es Dir jetzt leichter wird: Dich in das Unvermeidliche zu finden. Hoffentlich ist Dein ganzen [!] Befinden jetzt bald erträglich, und Du gehst dann mit Freudigkeit der Zukunft entgegen. Dazu gebe Gott Dir Kraft und Muth. – ||
Wenn ich so still in meinem einsamen Stübchen bei meiner Arbeit sitze dann wandeln meine Gedanken viel nach Jena, und ich möchte dann nur sehn, wie es Dir und den Kindern geht, dann wird bei mir immer der Wunsch wach, wie gerne ich Dir möchte eine Erleichterung verschaffen, und ich sinne dann wohl hin und her, was wohl geschehn könnte. Freilich ist dann das Endresultat von allem Sinnen im-||mer nur, daß Du allein im Stande bist Dir Deine Lage zu erleichtern; und nur durch das einfache Mittel, was als große Wohlthat allen Menschen gegeben ist, das ist durch angestrengte geregelte Arbeit. Es ist ja so verschieden wie die Menschen sich in das Leben finden, wie sie das Schwere tragen, manchen wird es leichter manchen schwerer, aber allen hilft über die Unannehmlichkeiten leichter weg, wenn der Mensch mit Geist und Körper thätig ist, und da möchte ich Dich dringend bitten, daß Du, || liebe Agnes, eine bestimmte Arbeit vornimmst, die Dir Freude macht; und wobei Du Dich dann auch auf die Vollendung wieder freust. Wie wäre es wenn Du zum Beispiel, Dich daran machtest für Deine Kinder die Kleider zum Sommer in Ordnung zu machen, oder hast Du zu sonst einer Arbeit Lust. Die Hauptsache ist, daß Du mit Gewalt Dich der schlaffen Unlust entreißt, sonst wirst Du immer schwächer und bist unfähiger zu wiederstehen. – Hoffentlich kannst Du mir bald bessere Nachricht von Dir geben. Dir und den Kindern schönen Gruß von Mutter Lotte. |
Dir und den Kindern Gruß und Kuß Euerer alten Mutter Lotte.a
a Text auf dem unteren Rand von S. 1.: Dir und … Mutter Lotte.